16. Dezember 2025

Ehemaliger Bundesminister Steinbrück fordert: „Wir müssen die Kurve kriegen“

KGNW-Forum 2025 im Balanceakt zwischen Krankenhausreform und Resilienz

© KGNW-Forum 2025 mit (v. l. n. r.) Dr. Gerald Gaß, Peer Steinbrück, Ingo Morell, Dr. Christian von Klitzing, Prof. Alexander Lechleuthner, Prof. Boris Augurzky (Foto: KGNW/Caroline Seidel) Es war keine leichte Kost, die das KGNW-Forum 2025 „Krankenhäuser – Daseinsvorsorge für die Krise“ am 11. Dezember 2025 den rund 200 Teilnehmenden im Marihtim-Hotel am Düsseldorfer Flughafen bot. Doch bei allen lebhaften Diskussionen rund um Resilienz und Krisenvorbereitung tauchte ein Begriff immer wieder auf: „Vertrauen“. Gezeichnet von den problematischen Erfahrungen rund um die Krankenhausreform und die mangelnde Unterstützung der defizitären Kliniken resümierte KGNW-Präsident Ingo Morell: „In Berlin müssen wir erst einmal wieder Vertrauen aufbauen.“ Mit Blick auf die politisch Verantwortlichen forderte er „mehr Vertrauen in die Lösungskompetenzen vor Ort“ und bekräftigte den Anspruch, „vernünftige Politiker“ zu unterstützen – so, wie es in Nordrhein-Westfalen erfolgreich funktioniere.

Das stellte ebenso NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann in seiner einleitenden Grußbotschaft per Video heraus: „Nordrhein-Westfalen ist auch in der Begleitung der Krankenhausreform ein verlässlicher Partner.“ Auch für die Umsetzung der Krisenfestigkeit versprach er gemeinsame Anstrengungen: „Im Haushalt 2026 ist eine Haushaltsstelle gebildet, die sich genau mit dieser Frage der Krisensicherheit und der Krisenstandfestigkeit unseres Gesundheitssystems befassen soll. (…) Wir werden es machen wie bei der Krankenhausplanung: Wir werden die Dinge gemeinsam besprechen.“

Wechselseitiges Vertrauen elementar zur Krisenbewältigung

© KGNW/Caroline Seidel Dr. Gerald Gaß, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Krankenhausgesellschaft
Vom genauen Gegenteil auf Bundesebene wusste Dr. Gerald Gaß, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), in seiner Keynote „Wie vertragen sich Krankenhausreform und Krisenvorbereitung?“ zu berichten. Zu Beginn der Corona-Pandemie im März 2020 habe der damalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn an die Krankenhäuser appelliert, alles zu tun, was in ihrer Macht stehe. „Das haben wir geschafft und auf die Verlässlichkeit der Politik vertraut.“ Das wechselseitige Vertrauen beschrieb Dr. Gaß als „elementar, um die Krise zu meistern“ und forderte: „Genau das brauchen wir auch bei zukünftigen Krisen.“ Er nannte Cyberangriffe, Sabotageakte, mögliche militärische Auseinandersetzungen: „Wir müssen mit Versorgungsbedarfen rechnen, die wir so vorher nicht hatten.“ Die Rolle der deutschen Krankenhäuser kennzeichnete er als Symbol für Sicherheit und Vertrauen der Menschen in den Staat: „Krankenhäuser sind kritische Infrastruktur und im Sondervermögen Verteidigung erwähnt. Es geht ums Vertrauen, dass der Staat dies in Krisen sicherstellen kann.“ In den kommenden Monaten stehe im Fokus, „dass wir uns über unsere Rollen klar werden“ und Strukturen zu Ende denken müssten. Versorgungsgewohnheiten würden in Krisenzeiten nicht „in gewöhnlicher Form“ aufrechterhalten werden können.

Krankenhausreform und Resilienz zusammen denken

Der DKG-Vorstandsvorsitzende räumte auch ein: „Während der Krankenhausreform stand das Thema Resilienz nicht oben auf der Agenda.“ Die Tatsache, dass aktuell – abgesehen von NRW – alle übrigen 15 Bundesländer gleichzeitig eine Krankenhausreform durchführen, sei einmalig. Sie sei aber auch eine Chance in Richtung Resilienz: „Man muss die Ziele der Krankenhausreform um die Perspektive der Resilienz ergänzen.“ Der Weg zur Finanzierung: In der vom Bundestag beschlossenen Ausnahme der Verteidigungsausgaben von der Schuldenbremse seien auch der Zivilschutz und die Krankenhäuser ausdrücklich eingeschlossen.

Der Prozess der Reform ohne Konsens unter den Beteiligten habe Vertrauen bei den Menschen gekostet. Die Bundesregierung dürfe jetzt nicht den Krankenhäusern auch noch die Hypothek aufbürden, dass sie sich ohne finanziellen Rückhalt und inhaltliche Unterstützung um Fragen von Resilienz und Krisenbewältigung kümmern müssten. Das wäre angesichts der wachsenden Regulierung eine geradezu groteske Situation, obwohl die Kliniken gerade in Pandemiezeiten ihre organisatorische Resilienz bewiesen hätten. Als Fazit betonte Dr. Gaß:

  1. Die Krankenhausreform braucht Anreize für Effizienz, keine Überregulierung.
  2. Das Vertrauen der Menschen müssen wir gemeinsam zurückgewinnen.
  3. Resilienz muss Teil des Transformationsprozesses werden.
  4. Die Krankenhäuser sind bereit, daran mitzuwirken.

Den Bogen hin zur geopolitischen und ebenso innenpolitischen Entwicklung spannte als zweiter Keynote-Speaker Bundesminister a.D. Peer Steinbrück. Der SPD-Politiker war unter anderem drei Jahre lang NRW-Ministerpräsident, von 2005 bis 2009 war er Bundesfinanzminister. Zuletzt machte er mit der überparteilichen „Initiative für einen handlungsfähigen Staat“ von sich reden, die er zusammen mit Julia Jäkel, Andreas Voßkuhle und Thomas de Maizière ins Leben gerufen hatte. Diese stellte im Sommer 2025 einen Expertenbericht mit konkreten Empfehlungen an die Politik in sieben thematischen Gruppen vor, der hohe Beachtung fand und dessen Vorschläge auch auf Regierungsseite positiv aufgenommen wurde. Moderator Ralph Erdenberger beschrieb den Bundesminister a. D. als einen politischen „Vordenker, den Staat umzubauen“.

© KGNW/Caroline Seidel Peer Steinbrück, Bundesminister a.D.

Steinbrück: „Die Rocky Horror Picture ist vollständig.“

Peer Steinbrück betitelte seinen Vortrag mit „Die Dimensionen und Konsequenzen der Zeitenwende in Deutschland“. Dabei kritisierte er, dass die Politik diese Dimensionen nicht ausreichend erklärt habe, die Bevölkerung sie wiederum aber auch nicht habe wahrnehmen wollen – keine guten Voraussetzungen, um Bedrohungen gerecht zu werden.

Der Ex-Minister sieht verschiedene Entwicklungen, die sich derzeit verdichten:

Die europäische Sicherheitsarchitektur kollabiere seit 2014, dem Jahr von Putins erstem Angriff auf die Ukraine mit der Eroberung der Halbinsel Krim. Damals sei die Bedrohung auf Europa noch nicht in den Köpfen verankert gewesen. Steinbrück erinnerte an Cyberangriffe und Spionage als Teil der hybriden Kriegsführung. Gleichzeig verschiebe sich die globale Machttektonik vom Atlantik (USA) hin in den asiatischen Raum (China) mit totalitären, autoritären Staaten, die eine Dominanz westlicher Regelungen und den Dollar als Leitwährung nicht mehr akzeptieren wollten. Parallel würden derzeit die USA entdemokratisiert, entliberalisiert und oligarchisiert – „harter Stoff“, wie Steinbrück selbst einräumte. Und noch schlimmer: Das deutsche Geschäftsmodell sieht der Politiker unter Druck geraten, etwa durch den Gasbezug aus Russland, Trumps Zölle oder den Rohstoffeinsatz von Staaten wie China und den USA für nationalpolitische Zwecke. „Das globale Umfeld hat sich für Deutschland massiv gewandelt“, analysierte der Politiker, „die Rocky Horror Picture ist vollständig“.

In dieser Lage wiege die kritische Entwicklung in Deutschland zusätzlich schwer, weil die Politik in den vergangenen zehn Jahren ihre Hausaufgaben nicht gemacht habe, beispielsweise bei Digitalisierung, Künstlicher Intelligenz (KI), Infrastruktur, Bildungssystem, Schaffung von bezahlbarem Wohnraum, Wachstum. Gleichzeitiges Problem: konkurrierende Ausgabenposten, etwa Gesundheit, Zukunftsinvestitionen, Bildung und Infrastruktur. Hier habe Politik zuletzt eher moderiert – jedoch zum Wohlwollen großer Teile der Bevölkerung. „Und jetzt stellen wir fest: Wir leben nicht im Auenland. Jetzt will Politik das Notwendige tun.“

Den Zulauf zu Rechtspopulisten und Rechtsextremen sieht Peer Steinbrück mit Sorge: „Wenn diese Regierung dem Erosionsprozess nicht entgegentritt, werden wir ein Demokratieproblem kriegen.“

Hoffnung machen ihm Politiker wie Digitalminister Karsten Wildberger, Politik-Quereinsteiger mit Wirtschaftserfahrung, für Steinbrück die „interessanteste Personalie der neuen Regierung“, der sich sehr beratungsoffen für die Vorschläge von Steinbrücks Modernisierungs-Initiative gezeigt habe. Das gelte für Entbürokratisierung, für Digitalisierung, eine effektive Verwaltung oder die Beschleunigung von neuen Genehmigungsverfahren. NRW sieht er aktuell, neben Baden-Württemberg und Hamburg, als Pacemaker bei der Modernisierung des Staates.

Steinbrück fordert Modernisierung des Gesundheitswesens

Eine große Baustelle sieht er in der Modernisierung des Sozialversicherungssystems. Die Sozialversicherungslast könne sich schon bald von 42 auf 46 bis 48 Prozent erhöhen – „eine irre Dynamik“. Dazu kommen die steuerfinanzierten Sozialleistungen. Folge: Die Spielräume für Zukunftsinvestitionen werden geringer.

Auch im Gesundheitswesen sieht Peer Steinbrück Reformbedarf, etwa im Notfallwesen. Er fordert eine kreisübergreifende Versorgung von Notfällen und mehr ambulante Behandlungen. Als ein Problem, das Reformen hierbei erschwere, sieht er zu viele Beteiligte mit verschiedenen Interessen.

Obwohl die beschriebenen Zukunftsszenarien oftmals düster wirkten, fiel sein Fazit „gar nicht so pessimistisch“ aus: „Nach wie vor ist unser Land ziemlich stark: Wir haben die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt, leben in einem Rechtsstaat, mit einem starken Mittelstand, einer guten Infrastruktur und in einer exzellenten Forschungslandschaft. Diese Regierung muss Erfolg haben bei der Modernisierung des Staates und benötigt jede Unterstützung. Wir müssen die Kurve kriegen!“

Prof. Boris Augurzky vom Institute for Health Care Business (hcb) der auf dem KGNW-Forum die Ergebnisse des gemeinsam mit dem Deutschen Krankenhausinstitut (DKI) erstellten Gutachtens „Investitionsbedarfe zur Herstellung der Resilienz deutscher Krankenhäuser“ beschrieb, bezifferte notwendige Mittel in Höhe von 2,7 Milliarden Euro zur Absicherung gegen Cyberangriffe und Sabotage, 4,9 Milliarden Euro zur Handlungsfähigkeit im Bündnisfall und 14,7 Milliarden Euro Investitionsbedarf, um für den Verteidigungsfall vorbereitet zu sein. Dazu müssten notwendige Betriebsausgaben zwischen 670 Millionen und 1,1 Milliarden Euro pro Jahr einkalkuliert werden. Als Beispiele für eine gute Vorbereitung nannte er unterirdische Krankenhäuser in Israel, Finnland und der Ukraine.

© KGNW/Caroline Seidel Prof. Boris Augurzky, Institute for Health Care Business – hcb

„Wir Krankenhäuser schaffen Schwieriges“

Unverzichtbar seien Schulungen des Krankenhauspersonals, war ein Fazit des anschließenden Panels. Dr. Gaß kritisierte in der Podiumsdiskussion die überbordende Bürokratie und die starre Kompetenzverteilung. Dr. Christian von Klitzing, Hauptgeschäftsführer der Alexianer GmbH, betonte die immensen Erfolge, die die Krankenhäuser täglich erbringen: „Immer da, wo man uns Verantwortung überlässt, schaffen wir Schwieriges. Aber in manchen Einrichtungen steht uns das Haus bis zum Hals.“

Prof. Alexander Lechleuthner, Leiter des Instituts für Rettungsingenieurwesen und Gefahrenabwehr der TH Köln und Organisator des NRW-Kleeblatts sowie von Patiententransporten aus der Ukraine, verwies auf die heute schon gut funktionierende Vernetzung unter den Krankenhäusern, gerade in NRW – eine gute Basis für die einfachen Strukturen, die seiner Ansicht nach in allen denkbaren Krisenzeiten funktionieren müssten. Probleme sieht er vor allem bei mittel- bis langfristigen Krisen wie einer Pandemie.