23. März 2023

Zukunftschance Klimaschutz im Krankenhaus

Thementag zeigt die ganze Breite der KGNW-Initiative „Klimaneutrales Krankenhaus“

© KGNW Essen, 24.03.2023 – Klimaneutralität zu erreichen, ist eine gewaltige Aufgabe für die Gesellschaft und die nächste große, zusätzliche Herausforderung für die Krankenhäuser. Um die NRW-Krankenhäuser dabei zu unterstützen, hat die Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen (KGNW) im Herbst 2022 die Initiative „Klimaneutrales Krankenhaus“ gestartet. Sie bietet den Krankenhäusern in Nordrhein-Westfalen (NRW) ein breites Unterstützungsangebot. Denn: Der Druck auf die Krankenhäuser steigt. Bis 2045 müssen auch sie klimaneutral sein. Unter dem Motto „Zukunftschance Klimaschutz im Krankenhaus“ informierte deshalb die KGNW am 14. März 2023 im Haus der Technik in Essen über die gesamte Breite der Initiative und stellte erfolgreiche Projekte vor.

Eingeladen waren die Geschäftsführungen der Krankenhäuser in NRW, Mitarbeitende der Unternehmensentwicklung, CIOs und IT-Leiter sowie Mitarbeitende, die bereits jetzt oder in Zukunft das Klimaschutzmanagement in den Häusern verantworten. Ein Jahr zuvor, am 30. März 2022, hatten das Wuppertal Institut und das hcb – Institute for Health Business GmbH (Essen) mit zwei viel beachteten Studien im Auftrag der KGNW die Grundlage für das Zielbild „Klimaneutrales Krankenhaus“ geliefert. Beim Thementag in Essen waren sich alle Anwesenden einig: Es gibt keine Zeit zu verlieren.

Krankenhäuser nehmen ihre Verantwortung ernst

© KGNW "Wir wollen Sie dabei unterstützen und Ihnen zeigen, wie sie Klimaschutz als Unternehmensziel definieren", betonte Sascha Klein, Vizepräsident der Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen (KGNW)

Zum Auftakt der Veranstaltung präsentierte Sascha Klein, Vizepräsident der KGNW, die Ergebnisse einer Befragung der rund 340 Krankenhäuser in NRW zum Stand des Klimaschutzes in den Einrichtungen vom Februar 2023. Für über 90 Prozent der Teilnehmenden sei das Erreichen der Klimaschutzziele wichtig bis sehr wichtig. Ein Großteil der Krankenhäuser verstehe Klimaschutz als eigene gesellschaftliche und ökologische Verantwortung. Eine eigene Nachhaltigkeitsstrategie hätten bisher ein Viertel der Krankenhäuser etabliert. Vor dem Hintergrund, dass die meisten Krankenhäuser für das Geschäftsjahr 2025 einen Nachhaltigkeitsbericht abgeben müssen, sei diese Quote noch gering. „Aber hier setzt die KGNW-Initiative an. Wir wollen Sie dabei unterstützen und Ihnen zeigen, wie sie Klimaschutz als Unternehmensziel definieren“, erklärte Klein. Die Erfahrung – zum Beispiel aus dem Qualifizierungsprogramm „KLIK green“ – zeige: „Auch mit gering-investiven Maßnahmen können wir Treibhausgasemissionen reduzieren. Und jedes Haus kann umgehend damit starten.“ Ohne massive Investitionen seien aber die großen Sprünge im Klimaschutz nicht zu leisten, betonte Klein. Dafür haben die NRW-Krankenhäuser schon vor einem Jahr einen „Climate Boost“ gefordert. Und sie fanden Gehör. Denn die im Mai 2022 neu gewählte NRW-Landesregierung verspricht in ihrem Koalitionsvertrag einen „Krankenhaus-Klimafonds“.

Zwei Keynote-Speaker unterstrichen Kleins Aussagen. Professor Dr. Boris Augurzky, Geschäftsführer des hcb – Institute for Health Business GmbH (Essen), erläuterte, dass die Transformation der Kliniken 7,1 Milliarden Euro verteilt auf sieben Jahre in Anspruch nehmen werde. Der größte Teil entfalle auf die energetische Sanierung der Gebäudehüllen. Die Krankenhäuser könnten aber die bereits existierenden Sondertöpfe, zum Beispiel den Krankenhausstrukturfonds, nicht dafür nutzen, Klimaschutzmaßnahmen umzusetzen. Daher sei ein „Climate Boost“ notwendig, der die rechtlichen Grundlagen für klimafreundliche Investitionen schaffe. Augurzky, seit dem vergangenen Jahr Mitglied der „Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung“, bestätigte, dass die beiden Gutachten auch auf bundespolitischer Ebene auf ein reges Interesse gestoßen seien.

© KGNW Jetzt vom Reden ins Handeln kommen – Thomas Voß, kaufmännischer Direktor der Kliniken des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe (LWL)

Die Dringlichkeit, jetzt vom Reden ins Handeln zu kommen, betonte auch Thomas Voß, kaufmännischer Direktor der Kliniken des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe (LWL) in Münster und Lengerich. Voß verdeutlichte die schon jetzt spürbaren Auswirkungen des menschengemachten Klimawandels auf die Umwelt und vor allem die Gesundheit aller Menschen. Seit vielen Jahren engagiert, kann er aus einer langjährige Erfahrung in der Umsetzung von Maßnahmen zum Klimaschutz schöpfen. Natürlich seien hoch-investive Maßnahmen am effektivsten. An einigen Beispielen zeigte Voß, dass trotzdem erste gering-investive Klimaschutzmaßnahmen umgesetzt werden können: Auch mit vermeintlich kleinen Maßnahmen ¬– wie den Papierverbrauch einzuschränken und auf 100%-Recyclingpapier umzustellen oder grundsätzlich nur noch Leitungs- statt Mineralwasser anzubieten – ließen sich Treibhausgasemissionen reduzieren. Voß konkretisierte, warum der Druck auf die Häuser, Maßnahmen umzusetzen, steige: Nicht nur würden sich die rechtlichen Rahmenbedingungen zunehmend verschärfen, wer den Klimaschutz nicht ernst nehme, werde den Standort zukünftig nicht mehr halten können.

Zehn empfohlene Maßnahmen

Doch wo muss ein Krankenhaus den Hebel ansetzen, wenn es klimaneutral werden möchte? Welche Maßnahmen sind effektiv? Was gilt es zu beachten? Diese Fragen beantwortet das Gutachten „Zielbild: ‚Klimaneutrales Krankenhaus‘“ vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie. Das Gutachten liefert mit zehn einzelnen Maßnahmen die wesentlichen Stellschrauben für ein Krankenhaus auf dem Weg zur Klimaneutralität. Am Thementag stellten verschiedene Referentinnen und Referenten alle zehn Maßnahmen mit Blick aus der Praxis vor.

Von Reden ins Handeln – Kein Problem mit dem richtigen Klimaschutzmanagement

Eine wichtige Frage zu Beginn muss lauten: Wie muss das Vorhaben „Klimaschutz im Krankenhaus“ organisiert werden? Denn auch kostengünstige Maßnahmen müssen hausintern koordiniert werden. KGNW-Referent Friedhelm Beiteke erläuterte die Lösung und damit die grundlegende Maßnahme. Denn die täglich zahlreichen Herausforderungen, mit denen sich die Geschäftsleitung eines Krankenhauses befassen müsse, lasse wenig Zeit. Um klimaneutral zu werden, sei daher ein professionelles Klimaschutzmanagement unverzichtbar. Die Klimamanagerin oder der Klimamanager arbeiten – am besten als Stabstelle eingerichtet – direkt mit der Geschäftsführung zusammen. Deshalb bietet die KGNW zusammen mit dem BUND Berlin mit „KLIK green NRW“ ein umfassendes Programm zur Qualifizierung von Krankenhausbeschäftigten zu Klimaschutzmanagerinnen und Klimamanagern an.

Vom Wertstoffmanagement über die Gebäudesanierung bis zu den Narkosegasen

Eine weitere zentrale Maßnahme ist der Ausbau erneuerbarer Energien. Philipp Hawlitzky, stellvertretender Geschäftsführer des Landesverbands Erneuerbare Energien NRW, lenkte den Fokus auf die häufig großen ungenutzten Dächer der Krankhäuser. Hier sei großes Solarpotenzial vorhanden. Neben der Reduktion der Treibhausgasemissionen könnten so die eigenen Energiekosten gesenkt werden. Wie E-Mobilität und das Prinzip „ohne Auto zum Arbeitsplatz“ in den Klinikalltag integriert werden können, zeigte Michael Schmitz, Abteilungsleiter des Facility Managements am Universitätsklinikum Bonn (ukb). Er erläuterte das klinikeigene weitreichende Mobilitätskonzept. Dazu gehört zum Beispiel die Beratung aller Mitarbeitenden in Mobilitätsfragen, eine Mitfahr-App, ein Car-Sharing-Angebot sowie insgesamt 44 E-Ladestellen für die elektrobetriebenen Fahrzeuge der Klinik und der Mitarbeitenden. Daran anschließend stellte Schmitz die Digitalisierung des Werkstoffmanagements am ukb vor. Ziel sei es, die „Kreislaufwirtschaft von morgen“ zu etablieren. Das bisherige Ergebnis ist ein voller Erfolg: Senkung der externen Verkehrsbelastung um 39 Prozent, Einsparung von Entsorgungskosten von fast 100.000 Euro jährlich und eine deutliche Reduktion der CO2-Belastung.

© KGNW Birte Schnurr, Researcherin im Bereich Energie-, Verkehrs- und Klimapolitik am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie gGmbH

Gut gedämmte Dächer und Fassaden sind eine wichtige Voraussetzung, um den Wärmebedarf erheblich zu reduzieren. Gleichzeitig ist die Sanierung der Gebäude mit sehr hohen Investitionskosten für die Krankenhäuser verbunden. Matthias Vahrson, Vorstand der Fachvereinigung Krankenhaustechnik und Bereichsleiter Baumanagement der FAC'T GmbH, erklärte die verschiedenen Dämmungen von Dächern, Fassaden und Fenstern. Er erläuterte die Vor- und Nachteile der modernen Dämmverfahren. Die Auswahl entscheide sich am Zustand des Gebäudes, an den Kosten und schließlich am Material, das zum Beispiel den Brandschutzanforderungen genügen muss. Wie Wärme und Kälte klimafreundlich erzeugt werden kann und welche Heizungspumpen dabei eingesetzt werden sollten, beantwortete Birte Schnurr, Researcherin im Bereich Energie-, Verkehrs- und Klimapolitik am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie gGmbH. Eine Möglichkeit ist, verschiedene Wärmequellen zu nutzen: Aus dem Erdreich, aus dem Abwasser und sogar aus dem Grundwasser. Zusätzlich seien Solaranlagen, aber auch die Absorptionskälte mit Abwärmenutzung zur Kälteerzeugung geeignet. Besonders im Bereich Wärmeversorgung sei die Umsetzung jedoch herausfordernd.

Martin Dobslaw, Account Manager Healthcare bei der Kieback und Peter GmbH & Co KG, skizzierte, wie Energieeffizienz durch intelligente Gebäudeleittechnik erreicht werden könne. Grundlage sei stets eine standortindividuelle Effizienzstrategie. So lasse sich ein Fahrplan für eine Minderung von Treibhausgasemissionen erstellen. Wie auch der Einkauf nachhaltig sein kann, zeigte Stefan Krojer, Gründer der Community Zukunft Krankenhaus-Einkauf (ZUKE). Eine Möglichkeit sei, gezielt nach Lieferanten zu suchen, die sich für Nachhaltigkeit engagieren. Nachhaltigkeitsbewertungen und -tools können hier Orientierung bieten. Zudem könnten Kliniken ihre Lieferanten direkt ansprechen und sie dazu auffordern, ihre Nachhaltigkeitsleistungen zu verbessern.

Maßnahmen zum Klimaschutz können zudem im Bereich Verpflegung ergriffen werden. Die LWL-Kliniken beziehen zum Beispiel Produkte aus ökologischem Anbau und artgerechter Tierhaltung, berichtete Voß. Außerdem verarbeiten die Küchen an den beiden Standorten in Münster und Lengerich nur saisonale Produkte. Diese werden teilweise aus einer eigenen Gärtnerei bezogen, die zudem ein wichtiger Bestandteil des therapeutischen Angebots der LWL-Kliniken ist.

Narkosegase sind Treibhausgase

© KGNW Dr. med. Linda Grüßer, Anästhesistin am Uniklinik RWTH Aachen klärte über die Treibhauswirkungen von Narkosegasen wie „Desfluran“ auf

Beachtenswert sind auch die Treibhauswirkungen von Narkosegasen wie „Desfluran“, das 2.540-fach klimaschädlicher als CO2 ist. Dr. med. Linda Grüßer, Anästhesistin am Uniklinik RWTH Aachen führte auf, wie der Einsatz alternativer Anästhetika den CO2-Fußabdruck der Krankenhäuser enorm verringern könne. Vor den Hintergrund des Kostendrucks, der derzeit auf den Krankenhäusern lastet, lieferte Grüßer ein überzeugendes Argument, die Maßnahme sofort umzusetzen: Es entstünden keine zusätzlichen Kosten.

Wie geht es weiter?

Die Betrachtung der einzelnen Maßnahmen zeigte: Der Weg zum klimaneutralen Krankenhaus ist kein leichtes Unterfangen. Lucia Donath, KGNW-Referentin, und Robert Färber, KGNW-Referent, stellten daher das Konzept vor, mit dem die Krankenhäuser ihren individuellen Transformationsprozess strategisch planen können, um das Zielbild „Klimaneutrales Krankenhaus“ bis spätestens 2045 zu erreichen.

© KGNW Zielbild „Klimaneutrales Krankenhaus“

Innerhalb der nächsten zwei Jahre wird die KGNW Fokusveranstaltungen zu jeweils einer der zehn Maßnahmen des Zielbilds anbieten. Diese richten sich je nach Maßnahme an die Krankenhausgeschäftsführung, das Klimaschutzmanagement oder an die Verantwortlichen in den verschiedenen Unternehmensbereichen. Zudem wird die KGNW in Zusammenarbeit mit dem BUND Berlin das Qualifizierungsprogramm für Klimaschutzmanagerinnen und Klimaschutzmanager „KLIK green NRW“ fortführen. Es basiert auf dem dreijährigen bundesweiten Vorgängerprojekt „KLIK green“, das seit 2019 beachtliche Ergebnisse erzielte: 250 beteiligte Kliniken, 187 im Klimaschutzmanagement ausgebildete Krankenhausbeschäftigte, 1.640 Klimaschutzmaßnahmen und mehr als 200.000 Tonnen eingesparte CO2-Äquivalente. Die Teilnehmenden der Fortbildung können damit auf eine langjährige Erfahrung und ein großes Netzwerk zurückgreifen. Das Programm bietet eine enge Begleitung beim Aufbau des hauseigenen Klimaschutzmanagements. Die Teilnehmenden können zudem auf eine fachlich versierte Beratung zurückgreifen und ihr eigenes Netzwerk ausbauen.

Eine Einführung in den Dschungel der Fördermittel gab KGNW-Referent Friedhelm Beiteke. Er wies insbesondere auf die Fallstricke hin. Grundsätzlich zählen Krankenhäuser im EU-Recht als Unternehmen und dürfen daher nicht staatlich subventioniert werden. Es gebe Auswege, der Eigenanteil der Krankenhäuser bleibe aber hoch. Beiteke motivierte die Anwesenden den Weg zur Klimaneutralität einzuschlagen und weiter zu verfolgen. An dem Thema Klimaschutz komme heute keiner mehr vorbei. „Der Zug rollt“, betonte Beiteke und sprach gleich darauf die Einladung aus: „Springen Sie auf.“

Zum Abschluss richtete Hilmar Riemenschneider, Referatsleiter für den Bereich „Politik, PR und Presse“ bei der KGNW, den Blick auf die politische Dimension. Bis jetzt hätten die Krankenhäuser politisch schon viel erreicht, das Ziel der klimaneutralen Kliniken sei auch im Koalitionsvertrag aufgegriffen worden. Der darin von den Regierungsparteien angekündigte „Krankenhaus-Klimafonds“ sei allerdings bisher nicht weiter konkretisiert worden. Perspektivisch sei eher bis Herbst 2023 damit zu rechnen, dass Land und Bund dazu Vorschläge erarbeiten.