17. August 2006
Geplante Gesundheitsreform: Kürzung der Klinikbudgets nicht verkraftbar
17. August 2006 - Die Krankenhäuser wollen in einer Transparenzoffensive über die gravierenden Auswirkungen der geplanten Gesundheitsreform aufklären.
Die Krankenhäuser setzten ihre Bemühungen fort, in einer Transparenzoffensive die breite Öffentlichkeit und die Politik über die gravierenden Auswirkungen der geplanten Gesundheitsreform aufzuklären. Die Krankenhäuser wollen damit einen Umdenkprozess in Gang setzen, der die Fakten und Realitäten in der stationären Versorgung mit in die Entscheidungsfindung der Politik einbezieht.
Die KGNW und die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) haben die Eckpunkte der Bundesregierung zu einer Gesundheitsreform 2006 massiv kritisiert. Nach zwei-jährigem Diskussionsvorlauf habe die Koalitionsregierung nicht ansatzweise ihre Ziele für ein zukunftsfähiges Gesundheitssystem verwirklicht. Heraus gekommen sei ein inakzeptabler Formelkompromiss, der weder die Einnahmeproblematik der GKV infolge einer sinkenden Lohnquote löse noch die versprochene strukturelle Verzahnung von ambulanter und stationärer Behandlung vorsehe. Dies haben KGNW-Präsident Dr. Johannes Kramer in Gesprächen mit den nordrhein-westfälischen Ministern Karl-Josef Laumann (Arbeit, Gesundheit und Soziales), Dr. Helmut Linssen (Finanzen) sowie Bundes- und Landtagsabgeordneten ebenso wie DKG-Präsident Dr. Rudolf Kösters in zahlreichen Gesprächen auf Bundesebene und in einer Pressekonferenz am 16. August 2006 in Berlin immer wieder hervorgehoben.
Der geplante Gesundheitsfonds schaffe einen Mammutbürokratismus, ohne aber die Einnahmeseite zu stabilisieren. Vielmehr wird damit das Gesundheitswesen weiter in Richtung Staatsmedizin gerückt. Die Kliniken hätten mehr als einen konzeptionslosen Rückfall in die leistungsfeindliche Kostendämpfungspolitik erwartet, waren weitere Kernpunkte ihrer Kritik. Dass die Koalition – angesichts der hohen Lasten der Krankenhäuser – aus dem stationären Sektor weitere 750 Millionen Euro heraus sparen wolle, sei sachlich nicht im Ansatz nachvollziehbar. Wer dies vorhabe, setze die flächendeckende 24-Stunden-Versorgung in den Kliniken aufs Spiel. Es werde weniger Personal, mehr Stress, weniger Zuwendung, weniger Fortschritt und Wartelisten für Patienten in den Krankenhäusern geben.
Nach den Worten von Dr. Kramer und Dr. Kösters sei das Entsetzen der Kliniken nach Bekanntgabe der Eckpunkte so groß wie nie. Nach jahrelangen Minusbudgets, DRG-Einführung, Tariferhöhungen in Milliardenhöhe, Arbeitszeitproblematik und Mehrwertsteuererhöhung sollen die Krankenhäuser nunmehr über einen „Sanierungsbeitrag“ die Finanzierungsprobleme der GKV lösen – dies sei ist nicht mehr verkraftbar.
KGNW und DKG appellieren nachdrücklich an die Politik:
1. Die geplante weitere Kürzung der Krankenhausbudgets um 750 Millionen Euro über den „Sanierungsbeitrag“ (500 Millionen) sowie über die „Anschubfinanzierung für hochspezialisierte Leistungen“ (250 Millionen) muss angesichts der ohnehin großen Lasten der Kliniken zurück genommen werden.
2. Die Personalmehrkosten der Kliniken von rund 1,5 Milliarden Euro infolge der Tarifrunde 2006 müssen über einen gesetzlichen Zuschlag in Höhe von 3 Prozent der Budgets refinanziert werden.
Die Präsidenten der KGNW und der DKG wiederholten gegenüber Politik und Öffentlichkeit ihre Positionen, dass die Eckpunkte zur Gesundheitsreform ohne Berücksichtigung der Fakten und Lasten der Krankenhäuser „im Husarenritt“ erstellt wurden. Die Krankenhäuser würden in den kommenden Monaten detailliert über ihre Situation informieren und falschen Behauptungen bzw. Missverständnissen entgegen treten – hier insbesondere über:
1. Das Finanzdefizit der GKV:
Das aktuelle Beitragssatzproblem der GKV ist von der Politik hausgemacht. Seit Jahren ist bekannt, dass die Einnahmenseite der GKV erodiert. Die richtige Antwort auf die Erosion wäre die Rücknahme der Verschiebebahnhöfe und die Verbreiterung der Beitragsbasis. Die Politik schafft hingegen neue Verschiebebahnhöfe zu Lasten der GKV und saniert damit den Bundeshaushalt. Dies betrifft insbesondere die Streichung der Tabaksteuer und Erhöhung der Mehrwertsteuer. Gleichzeitig profitieren Bund- und Länderhaushalte allein von den Mehrbelastungen der Krankenkassen und Krankenhäuser infolge der Mehrwertsteuererhöhung mit 1,4 Milliarden Euro. Ihrer eigenen Argumentation folgend müsste die Koalition zumindest eingestehen, dass das Aufkommen der Tabaksteuer in 2006 massiv um mehr als 10 Prozent steigt, was ca. 1,5 Milliarden Euro Mehreinnahmen für den Bund bedeutet (Quelle: Monatsbericht des BMF, Juni 2006, S. 37 ff. - Steuereinnahmen des Bundes und der Länder im 1. Quartal 2006). Ein „Sanierungsbeitrag“ der Krankenhäuser ist daher nicht gerechtfertigt, da er am eigentlichen Problem vorbeigeht. Der Steuerzuschuss an die GKV muss um den unerwarteten Anstieg der Tabak-steuereinnahmen angehoben werden. Die Mehrwertsteuereinnahmen von 1,4 Milliarden Euro aus dem Gesundheitswesen müssen auch dorthin wieder zurück-fließen.
2. Die Ausgabenentwicklung der Krankenhäuser:
Der „Sanierungsbeitrag“ der Krankenhäuser ist auch unter Berücksichtigung der Ausgabenstatistik der GKV ungerechtfertigt. Der Anstieg der Krankenhausausgaben um 5,6 Prozent im ersten Quartal 2006 je Mitglied ist ein statistisch absolut instabiler Wert, der nicht auf das Jahresgesamtergebnis hochgerechnet werden kann und der auch keine verlässliche Aussage über die Kosten-/Erlössituation in den Krankenhäusern zulässt. Seit der Einführung der DRG-Fallpauschalen wird das erste Quartal immer überhöht ausgewiesen. In der Jahresausgaben-statistik war der Ausgabenwert für die Krankenhäuser regelmäßig deutlich niedriger. Gleichzeitig spricht vieles dafür, dass der Ausgangswert des 1. Quartals 2005 zu niedrig ausgewiesen ist und deshalb für das 1. Quartal 2006 eine statistisch überhöhte Steigerungsrate herauskommt. Rechnet man die Verzerrungseffekte heraus, dann liegt die Steigerungsrate deutlich unter 2 Prozent. Damit liegen die Klinikausgaben-Steigerungen noch unter dem Durchschnitt der letzten fünf Jahre (2 Prozent), trotz politisch induzierter Kostensteigerungen (AIP, Reform Pflegeberufe etc.) .
3. Die Mehrwertsteuererhöhung:
Aufgrund der Mehrwertsteuererhöhung von 2007 an ist für die Krankenhäuser mit Mehrkosten von ca. 500 Mio. Euro zu rechnen. Dies entspricht einer Kostensteigerung bei Kliniken von ca. 1 Prozent der Budgets. Dieser Kostenschub bleibt vollständig beim Krankenhaus, da Krankenhausleistungen mehrwertsteuerfrei erbracht werden. Eine Weitergabe der Mehrkosten in die von den Krankenkassen zu erstattenden Fallpauschalen bzw. Vergütungen ist aufgrund der gesetzlichen (pflegesatzrechtlichen) Restriktionen nicht möglich. Kostenentwicklungen werden nur im Umfang bis zur Grundlohnrate berücksichtigt. Die Folge: Die Mehrwertsteuererhöhung muss aus den Erlösen der Krankenhäuser finanziert werden. Von 2.166 Krankenhäusern schreibt die Hälfte bereits rote Zahlen. Die Mehrwertsteuer erhöht die Verluste dieser Krankenhäuser und mindert das Vermögen der Krankenhausträger bzw. erhöht die Defizite, die von den öffentlichen Trägern (Länder und Kommunen) übernommen werden müssen.
4. Die Personalkostensteigerung durch die Tarifrunde 2006:
Für jedermann erkennbar führt das Jahr 2006 zu einer tariflichen Personalkostensteigerung von rund 1,5 Milliarden Euro. Seit der Aufhebung des Selbstkostendeckungsprinzips sind die Möglichkeiten für Krankenhäuser, Kostensteigerungen im Krankenhausbudget zu berücksichtigen, immer weiter eingeschränkt worden. Trotzdem herrscht oft noch der Irrglaube vor, die Krankenhäuser könnten Kostensteigerungen weiterhin unbegrenzt über eine Erhöhung der Krankenhausbudgets auffangen. Personalkostensteigerungen oberhalb der Veränderungsrate können nach den gesetzlichen Vorgaben nicht budgeterhöhend berücksichtigt werden. Die derzeitigen gesetzlichen Regelungen ermöglichen daher keine ausreichende Refinanzierung der Personalkostensteigerungen im Krankenhausbereich. Erforderlich ist ein gesetzlicher Zuschlag in Höhe von 3 Prozent zur Refinanzierung der tarifbedingten Personalkostensteigerungen.
L A S T E N der Krankenhäuser
Nach den Eckpunkten zur Gesundheitsreform geplant:- Minus 500 Millionen Euro (1-Prozent-Zwangsabgabe)
- Minus 500 Millionen Euro (Verlängerung Anschubfinanzierung Integrierte Versorgung)
- Minus 250 Millionen Euro (neue Anschubfinanzierung hochspezialisierte Leistungen)
Gesetzlich- und tarifbedingte Kosten- und Ausgabensteigerungen:- 1,5 Milliarden Euro (TVöD-Umstellung, neue und erwartete Tariferhöhungen für Klinikärzte)
- 1,3 Milliarden Euro (erwartete Mehrkosten durch Änderung Arbeitszeitgesetz)
- 500 Millionen Euro (gesetzliche Vorgaben Abschaffung AiP, Pflegeausbildung, DRG-
Systemkosten)
- 500 Millionen Euro (Mehrwertsteuererhöhung ab 2007)
- 1 Milliarde Euro (durch gesetzliche Auflagen wie Naturalrabattverbot, steigende
Anforderungen an Qualitätssicherung, sicherheitstechnische Auflagen)
Gesetzlich begrenzte maximale B U D G E T S T E I G E R U N G der Krankenhäuser:- Plus 300 Millionen Euro (für 2006: 0,63 Prozent der Krankenhausbudgets)