26. November 2002

Presseerklärung der KGNW anlässlich des KGNW-Forums 2002

"Das Krankenhaus zwischen Patientenanspruch und Personalmangel"

Dienstag, den 26. November 2002, 12.45 Uhr, Stadthalle Bielefeld

Die Patientenversorgung vor dem Abgrund
Die von der Bundesregierung beschlossene Nullrunde im Rahmen des Beitragssatzsicherungsgesetzes ist ein Desaster für die Krankenhäuser und hat gravierende negative Auswirkungen auf die Versorgung der Patienten in den nordrhein-westfälischen Krankenhäusern. Die qualitätsorientierte bürgernahe Patientenversorgung ist nach fast zehnjähriger Deckelung der Budgets und einer dadurch entstandenen gravierenden Unterfinanzierung der Krankenhäuser in hohem Maße gefährdet. Auch eine Ausnahmeregelung für Krankenhäuser, die freiwillig bereits im Jahr 2003 auf das neue Vergütungssystem umsteigen, wird die dramatische Unterfinanzierung auch dieser Häuser nicht verbessern.

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Krankenhäusern betrachten die geplante Nullrunde als Strafaktion gegen ihre Leistungsbereitschaft und ihr hochmotiviertes Handeln zum Wohle der ihnen anvertrauten Patienten.

Die fortlaufende personelle Ausdünnung in den Krankenhäusern führt zu einer Verteilung der Arbeit auf weniger Schultern und zu einer Verschärfung der Überstunden- und Überlastungssituation in den Krankenhäusern. Weitere Folgen sind Demotivation und Abwanderung, ausbleibender Personalnachwuchs. Den Preis werden zwangsläufig die Patienten zahlen. Für die persönliche Betreuung des Patienten wird weniger Zeit zur Verfügung stehen und sich auf das Nötigste reduzieren, es drohen Leistungskürzungen und planbare Operationen müssen verschoben werden. Eine Wartelistenmedizin ist die Folge. Die politische Verantwortung dafür trägt allein die Bundesregierung.

Nullrunde
Für Krankenhäuser desaströs

Die auf die Krankenhäuser zukommende Nullrunde bedeutet real eine drastische Budgetkürzung, d.h. in Wahrheit Minusrunde!!, denn der Null-Prozentsteigerung ("Minusrunde") stehen jährliche Personalkostensteigerungen von bis zu 5 Prozent (Tarifsteigerungen, zusätzliche Altersversorgung, vermögensbildende Leistungen) gegenüber. Damit wird sich diese seit Jahren von Krankenhausseite kritisierte "Personalkosten-Schere" in 2003 mit verheerender Wirkung auf die Personalsituation der Krankenhäuser weiter öffnen.

1. Beispiel: Für ein Krankenhaus mit ca. 500 Betten und rund 50 Mio. Euro Jahresbudget ergäbe sich bei einem Anteil der Personalkosten von 70 Prozent oder 35 Mio. Euro bei einer Nullrunde und einer Anhebung der tarifvertraglichen Vergütung um drei Prozent eine Zusatzbelastung von rund 1,05 Mio. Euro, die überwiegend nicht refinanziert werden. Bei angenommenen Personalkosten von durchschnittlich 40.000 Euro je Vollkraft muss das Krankenhaus mindestens 26 Stellen abbauen, nur um dieses manifeste Defizit auszugleichen.

2. Beispiel: Ein Krankenhauses nutzt die vorgesehene gesetzliche Regelung und steigt freiwillig bereits im Jahr 2003 auf das neue Vergütungssystem um. Dieses Krankenhaus erhält als Budgetzuschlag die Veränderungsrate von 0,81 Prozent
Für ein Krankenhaus mit ca. 500 Betten und rund 50 Mio. Euro Jahresbudget bedeutet eine Steigerung um lediglich 0,81 Prozent Mehrerlöse von rund 400.000 Euro. Bei einem Anteil der Personalkosten von 70 Prozent oder 35 Mio. Euro ergäbe sich bei einer Anhebung der tarifvertraglichen Vergütung um drei Prozent eine Zusatzbelastung von rund 1 Mio. Euro. Allein die Mechanik dieser Personalkosten-Schere löst somit eine Kostenunterdeckung von 600.000 Euro aus. Bei angenommenen Personalkosten von durchschnittlich 40.000 Euro je Vollzeitkraft muss das Krankenhaus mindestens 15 Stellen abbauen, nur um dieses manifeste Defizit auszugleichen. Diese grobe Überschlagsrechnung geht noch von günstigen Bedingungen aus. Die eklatanten Belastungen durch strukturelle Komponenten (z. B. zusätzliche Altersversorgung) sind dabei noch gar nicht berücksichtigt.

Bei einem gesamten Budgetvolumen aller nordrhein-westfälischen Krankenhäuser von rund 11,5 Mrd. Euro beträgt der Anteil der Personalkosten ca. 8,05 Mrd. Euro (70 Prozent). Eine Kostensteigerung um 5 Prozent bedeutet eine Mehrbelastung von rund 403 Mio. Euro, die bei einer Nullrunde damit im Jahr 2003 nicht finanziert werden. Landesweit bedeutet dies einen Abbau von über 10.000 Stellen.

Bei der einerseits hohen Arbeitslosigkeit und einem andererseits wachsenden Gesundheitsmarkt ist dies in keiner Weise mehr vermittelbar.

In vielen Krankenhäusern ist aufgrund ihrer spezifischen Aufgabenstellung auch ein weitaus höherer Stellenabbau als bei den vorhergehenden Berechnungen zu befürchten. Falls dies nicht gewollt ist, wäre die einzige Alternative der wirtschaftliche Niedergang des betreffenden Hauses. Dies offenbart schonungslos die dramatische Lage der nordrhein-westfälischen Krankenhäuser.

Mögliche Umsetzung des EuGH-Urteils zum ärztlichen Bereitschaftsdienst

Eine Studie der Deutschen Krankenhausgesellschaft des vergangenen Jahres dokumentiert, dass das EuGH-Urteil die finanzielle Lage der Krankenhäuser weiter verschärfen wird. Bei einer verpflichtenden Umsetzung mit Aufgabe des Bereitschaftsdienstes müssten zusätzlich 27.000 Ärzte (12 Ärzte je Krankenhaus) und 14.000 Beschäftige übriger Berufsgruppen eingestellt werden. Eine immense Zahl, die der Arbeitsmarkt nicht hergibt. Die Mehrkosten beliefen sich für die zusätzlich einzustellenden Ärzte auf 1,7 Milliarden Euro.

In Nordrhein-Westfalen würde sich bei 452 Krankenhäusern ein zusätzlicher Stellenbedarf 5560 Ärzten mit zusätzlichen Personalkosten in Höhe von 350 Mio. Euro ergeben. Der für Nordrhein-Westfalen errechnete zusätzliche Bedarf an Arztstellen ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht zu decken. Das belegen Zahlen des Arbeitsmarktbarometers der Bundesanstalt für Arbeit, Landesarbeitsamt Nordrhein-Westfalen, nach denen zurzeit 1.469 Ärztinnen und Ärzte als arbeitssuchend gemeldet sind.

Die Bundesregierung muss bei der Finanzierung der ärztlichen Arbeitszeit und der angekündigten Auswertung innovativer Arbeitszeitmodelle sowie deren finanzieller Auswirkungen endlich Entschlossenheit zeigen. Der für 2003 in Aussicht gestellt "Notgroschen" von 100 Millionen Euro für zusätzliche neue Arztstellen ist "ein Tropfen auf den heißen Stein". Mit diesem Betrag könne etwa 1.500 Krankenhausärzte bei insgesamt 2200 Krankenhäusern finanziert werden. Und das nur für ein Jahr.

Leistungs- und Effizienzsteigerung
Kapazitätsabbau im Krankenhausbereich in NRW
1995 bis 2000

Die durch die Nullrunde dramatisch verschärfte Unterfinanzierung ist für die Patientenversorgung und für die Existenz der Krankenhäuser in gleicher Weise ruinös. Dabei haben gerade die Krankenhäuser in den letzten Jahren in beachtlichem Maße zur Beitragssatzstabilität der gesetzlichen Krankenversicherung beigetragen und zugleich erhebliche Mehrbelastungen durch ständig steigende Patientenzahlen, erschwerte Krankheitsbilder und zunehmende Budgetrestriktionen von Seiten der Kostenträger und der Politik auffangen müssen. In den Krankenhäusern sind keine Rationalisierungsreserven mehr vorhanden Rationalisierung zur Stabilisierung der Beitragssätze der GKV bedeutet im Krankenhausbereich aufgrund der hohen Personalintensität massiver Arbeitsplatzabbau.
· Anstieg der Patientenzahlen in den nordrhein-westfälischen Krankenhäusern um ca. 1,5 Prozent (300.000 Patienten) jährlich auf jetzt 3,8 Millionen
· Rückgang der Zahl der Krankenhäuser und Betten von 483 auf 462 Krankenhäusern (- 21) und 14.721 Betten ( 1995: 150.431 Betten / 2000: 135.710 Betten)
· Verringerung der Verweildauer um über zwei Tage (1995: 12,6 Tage / 2000: 10,40 Tage)
· Abbau von weit über 4 Mio. Pflegetagen (1995:44,41 Mio. / 2000: 40,07) . Vor allem die Pflegetageentwicklung macht sich für die GKV in einer moderaten Budgetentwicklung bis zum Jahr 2000 bemerkbar.

· Die Allgemeinkrankenhäuser in Nordrhein-Westfalen verzeichneten einen moderaten Anstieg der Budgets und einen stärkeren Anstieg der Fallzahlen. Die Erlöse je Fall sanken von über 3.000 Euro in 1995 auf knapp 2.900 Euro in 2003.

· Geht man von einem konstanten Preis der stationären Fälle von 3.043 Euro ab 1995 aus, so ergibt sich aus den jährlichen Differenzen der rückläufigen Fallerlöse gegenüber dem Ausgangspreis von 1995 bis zum Jahr 2003 ein durchschnittlicher Erlösentzug pro Jahr von 394 Mio. Euro. Hochgerechnet ergibt sich so ein Erlösentzug von 3,2 Mrd. Euro. Die Krankenkassen haben damit ihre Beitragssätze auf Kosten der Krankenhäuser über den angegebenen Zeitraum um 3,2 Mrd. Euro entlastet.

Rationalisierung im Personalbereich
1995 bis 2002

· Abbau über 18.000 Arbeitsplätzen (Voll- und Teilzeitkräfte) insbesondere im Wirtschaftsdienst einschließlich klinischem Hauspersonal und technischem Dienst (– 7381; 1995: 37.126 / 2000: 29.745), im Pflegedienst (–9.116; 1995: 109.120 / 2000: 100.004) und im Verwaltungsdienst (– 577; 1995: 37.126 / 2000: 16.210)
· Anstieg der Zahl der Ärzte einschließlich Belegärzte und Ärzte im Praktikum um rund 3 Prozent ( + 962; 1995: 28.008 / 2000: 28.974)
· Geringe Veränderung im medizinisch-technischen Bereich und Funktionsdienst (insgesamt – 122; 1995: 56.809 / 2000: 56.931)