18. Dezember 2000
KGNW und nordrhein-westfälische Ärztekammern legen Gutachten zur Krankenhausplanung in NRW vor
Erhöhte Krankheitsbelastung der Bevölkerung muss bei der Krankenhausplanung berücksichtigt werde
Düsseldorf, 18.Dezember 2000 - Die stärkere Krankheitsbelastung der Bevölkerung in Nordrhein-Westfalen im Vergleich mit den übrigen alten Bundesländern ist Ursache für eine höhere Inanspruchnahme der Krankenhäuser. Das ergab eine Studie, deren Ergebnisse die Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen (KGNW) und die beiden nordrhein-westfälischen Ärztekammern heute (Montag, 18. Dezember 2000) in Düsseldorf vorgestellt haben. Die NRW-Bevölkerung ist danach um 8,6 Prozent stärker von Krankheiten betroffen.
Krankenhausgesellschaft und Ärztekammern forderten die Landesregierung auf, diese neuen Erkenntnisse bei der jetzt anstehenden Krankenhausplanung zu berücksichtigen. Es liege nun eine plausible Erklärung dafür vor, dass die Krankenhäuser in NRW um 7,1 Prozent häufiger in Anspruch genommen werden als in den übrigen alten Bundesländern. Dies gehe auf einen erhöhten Versorgungsbedarf der Bevölkerung zurück und nicht – wie dies zum Teil behauptet werde – auf überdurchschnittliche Kapazitäten in der Krankenhausversorgung.
Das Gutachten der renommierten Institute BASYS (Augsburg) und I + G Gesundheitsforschung (München) liefert weitere Fakten für einen erhöhten Behandlungsbedarf und seine Berücksichtigung in der Krankenhausplanung. So wirken sich zum Beispiel Gesundheitsrisiken wie Rauchen und Fettsucht im bevölkerungsreichsten Bundesland verstärkt aus - die Zahl der Raucher liegt um 7,6 Prozent höher als im Bundesdurchschnitt, die der Fettsüchtigen um 7,2 Prozent.
Als weitere Besonderheit für Nordrhein-Westfalen stellt die Studie fest, dass die derzeitigen Krankenhauskapazitäten mit einer unterdurchschnittlichen Arztdichte und vergleichsweise geringen Angebotskapazitäten in den Rehabilitations- und Alteneinrichtungen einhergehen.
Dem erhöhten Behandlungsbedarf müssen die Krankenhäuser in NRW jedoch mit einer unterdurchschnittlichen Personalausstattung gerecht werden: Trotz höherer Inanspruchnahme und Bettendichte kommen auf 10.000 Einwohner 106,3 Beschäftigte im Krankenhaus, im Schnitt der übrigen alten Bundesländer sind es 107,7. Da 70 Prozent der Kosten im Krankenhaus Personalkosten sind, liegen aufgrund des äußerst sparsamen Personaleinsatzes die Kosten je Pflegetag und Fall in den NRW-Kliniken unter dem Durchschnitt.
Die These von der stationären Überversorgung in NRW ist nach Ansicht von Krankenhausgesellschaft und Ärztekammern mit dem Gutachten widerlegt. Die derzeitige Krankenhauskapazität im Land ist deshalb grundsätzlich angemessen.
Künftig wird der tiefgreifende Strukturwandel im Gesundheitswesen auch den Krankenhaussektor verändern. Ein wichtiger Faktor dabei wird der zunehmende Anteil alter Menschen an der Bevölkerung sein. Bei der Krankenhausfinanzierung wird die komplette Umstellung auf ein Fallpauschalensystem ("Diagnosis Related Groups") "die Ökonomisierung der Produktionsabläufe im Krankenhaus" verstärken, meinen die Gutachter. Die Verweildauer werde voraussichtlich verkürzt, während die Fallzahlen ansteigen.
Ausgehend von der Entwicklung der Krankheitsbelastung und den zu erwartenden demographischen Veränderungen ergibt sich für Nordrhein-Westfalen ein Anstieg der Patientenzahlen bis zum Jahr 2005 in Höhe von mindestens 12%. Diese Zunahme bedeutet nicht gleichzeitig eine entsprechend hohe Zunahme der stationären Patientenzahl, sondern wird vermutlich teilweise begleitet von einer Verlagerung innerhalb des übrigen Leistungsspektrums des Krankenhauses bis hin zur integrierten Versorgung.
Aus dieser Entwicklung heraus schließen die Gutachter auf eine mögliche Reduzierung der stationären Behandlungstage um 6% bis zum Jahr 2005. Die Kosten für den Krankenhausbereich werden allerdings keinesfalls sinken, sondern vielmehr aufgrund demographisch bedingter Änderungen im Versorgungsbedarf und erhöhter Qualitätsanforderungen zumindest gleich bleiben.
Das Fazit der Prognose lautet:
l Der Ausgabenanteil für die Krankenhausversorgung am Bruttoinlandsprodukt lässt sich nicht weiter senken.
l Ein weiterer Personalabbau in den Krankenhäusern ohne Konsequenzen für die Versorgung ist nicht möglich.
In einer ersten Stellungnahme hob Dr. Rudolf Kösters Präsident der Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen (KGNW), den morbiditätsorientierten Ansatz als besonderen Vorteil des Gutachtens hervor. Die angemessene Berücksichtigung des bevölkerungsbezogenen Krankheitsgeschehens ermögliche eine Krankenhausplanung für Nordrhein-Westfalen, die den tatsächlichen Bedarfmaßstäben einer qualifizierten, wohnortnahen, wirtschaftlichen Krankenhausversorgung Rechnung trägt. In diesem Zusammenhang sagte Kösters "Mit unserem Gutachten haben wir die von den Krankenkassen immer wieder behauptete These, in unserem Bundesland gebe es derzeitig eine überdurchschnittliche Versorgung mit Krankenhausleistungen, eindeutig widerlegt.
Wir haben dem für die Krankenhausplanung zuständigen Ministerium zukunftsfähige konzeptionelle Grundlagen für eine Krankenhausversorgung im Sinne des Patienten geliefert. Ich kann nur hoffen, dass das Ministerium diesen Ball aufnimmt." Besonders erfreut zeigte sich Kösters darüber, dass es gelungen sei, das Gutachten zusammen mit den beiden Ärztekammern in Nordrhein-Westfalen in Auftrag gegeben zu haben. "Dadurch werden die Argumente für eine qualifizierte Krankenhausversorgung auf eine sehr breite Basis gestellt."
Für Dr. Ingo Flenker, Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe, zeigt das Gutachten auch, dass die Krankenhausplanung an einem Scheideweg steht: "Eine Planung nach der Formel einfacher Bettenarithmetik hat ausgedient. Die zukünftige Entwicklung – von der Altersstruktur der Bevölkerung bis zu neuen Vergütungsformen im Krankenhaus – wird von einer Zunahme von Krankenhausfällen und einer weiteren Verkürzung der Verweildauer bestimmt sein. Das Gutachten der Ärztekammern und der Krankenhausgesellschaft beleuchtet nicht nur die Ist-Situation, sondern bietet ein wissenschaftlich fundiertes, konzeptionelles Gerüst für eine moderne, den Strukturwandel aktiv aufgreifende Krankenhausplanung. An diesen Ergebnissen wird keiner vorbeikommen, der eine angemessene Krankenhausversorgung in NRW erhalten und weiterentwickeln will."
Die Rolle der Landesregierung in der Krankenhausplanung müsse sich künftig grundlegend ändern, meint Professor Dr. Jörg-Dietrich Hoppe, Präsident der Ärztekammer Nordrhein und der Bundesärztekammer. "In den zurückliegenden Jahren hat die Landesregierung dem Ziel, die Kapazitäten im Kliniksektor zu reduzieren, hohe Priorität eingeräumt. In Zukunft wird Gesundheitsministerin Birgit Fischer – vor allem in ländlichen Räumen – darauf achten müssen, dass sie ihrer Verantwortung für eine bürgernahe Krankenhausversorgung gerecht wird. Sie muss stärker darauf achten, dass ein gewisses Versorgungsniveau nicht unterschritten wird."
Die Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen e. V. (KGNW) ist der Zusammenschluss der Krankenhausträger und ihrer Spitzenverbände in Nordrhein-Westfalen mit Sitz in Düsseldorf. Die Aufgabe der KGNW ist es, auf "eine der Würde des Menschen verpflichtete, humane, bedarfsgerechte, leistungsfähige, wirtschaftliche und finanziell abgesicherte Versorgung durch eigenverantwortlich tätige Krankenhäuser mit pluraler Trägerstruktur hinzuwirken". Sie vertritt die Interessen ihrer Mitgliedskrankenhäuser und nimmt die ihr gesetzlich vorgeschriebene Aufgaben im Rahmen der Selbstverwaltung wahr. In den etwa 470 nordrhein-westfälischen Krankenhäuser werden jährlich mehr als 3,7 Millionen Patienten behandelt. Mit rund 250 000 Beschäftigten sind die Krankenhäuser einer der bedeutendsten Arbeitgeber in Nordrhein-Westfalen.