21. Mai 2015

Viertes Theaterprojekt der Ruhrfestspiele mit der LWL-Klinik Herten

Tragisch wie komisch: „Die kahle Sängerin“ über Sprache, Dialoge und Beziehungen

Wer ist Patientin oder Patient und wer nicht? – Diese Frage stellt sich nach vier Produktionen der LWL-Klinik Herten für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) in Kooperation mit den Ruhrfestspielen Recklinghausen längst nicht mehr. Denn: Kreativität, Originalität und künstlerischer Wert interessieren das Publikum und nicht die Krankheit. So auch dieses Mal, wenn die Theatergruppe „Bluna Placebo“ der LWL-Klinik mit zwölf Patientinnen, Patienten und Mitarbeitenden mit einem zutiefst tragischen wie hochkomischen Stück Theater im Schloss Herten macht: „Die kahle Sängerin“ des rumänischen Dramatikers Eugéne Ionesco.

Das Stück ist absurdes Theater, aber auch Realität. Dazu gehören Banalitäten austauschende Ehepaare, ein Feuerwehrhauptmann, der versucht, ein Missverständnis aufzuklären, ein Hausmädchen auf den Spuren von Sherlock Holmes und eine kahle Sängerin, die es gar nicht gibt. Die Gespräche sind bizarr, die Beziehungen kurios, die Identitäten unklar. Das Stück handelt vom Zerfall der Sprache, von tragisch-komischen Kommunikationsversuchen. Die Menschen sind satt und zugleich hungrig, hüllen ihre Sehnsüchte und Nöte in leere und absurde Floskeln, um die eigenen Ängste nicht spüren zu müssen.

Sandra Anklam, Drama- und Theatertherapeutin der LWL-Klinik Herten und zuständig für die künstlerische Leitung, gestaltet seit vier Jahren Theaterprojekte für die LWL-Klinik. Zusammen mit Oberärztin Silke Echterhoff gründete sie 2011 die Theatergruppe mit wechselnden Darstellerinnen und Darstellern. Auch in diesem Jahr hat sie wieder im Rahmen eines theatertherapeutischen Projekts Patientinnen, Patienten und Mitarbeitende zu einer bühnenreifen Inszenierung geführt – erstmals gemeinsam mit Oberärztin Christine Möllering als ärztliche Leiterin des Theaterprojekts. Mit ihr hat Anklam in den zurückliegenden Monaten die Proben koordiniert. „Indem die Mitwirkenden gemeinsam auf einer Bühne stehen und sich über das Medium Theater mit ästhetischen Mitteln und einer literarischen Vorlage auseinandersetzen, befassen sie sich schließlich auch mit sich selbst“, so Anklam über die Wirkung von Theatertherapie an der Schnittstelle von Kunst und Heilung.

Wie im vergangenen Jahr stellen die Ruhrfestspiele auch in diesem Jahr die renommierte Kostüm- und Bühnenbildnerin Susann Bieling, die u.a. für Kino- und Fernsehproduktionen (z.B. „Nirgendwo in Afrika“) tätig ist, an die Seite der Theatergruppe. Bieling hat die Kostüme und das Bühnenbild für „Die kahle Sängerin“ entworfen. Produziert wurden diese von Teilnehmenden und Anleiterinnen des Projektes „Vest-Production“. Hierbei handelt es sich um ein Kreativprojekt der Diakonie-Umweltwerkstatt Recklinghausen. Aus alten Möbeln und gebrauchten Textilien werden durch Upcycling neue Kreationen erstellt. „Mit „Vest-Production“ ermöglichen wir 15 langzeiterwerbslosen Menschen durch sinnvolle und kreative Tätigkeiten sowie individuelle Beratung die Entwicklung einer neuen beruflichen Perspektive“, erklärt Dipl.-Sozialarbeiter Jürgen Werner, Projektleiter in der Umweltwerkstatt Recklinghausen. Finanziert wird „Vest-Production“ durch das JobCenter Recklinghausen.

Über den Ausbau und Erfolg des Projekts freut sich auch Dr. Luc Turmes, Ärztlicher Direktor der LWL-Klinik Herten: „Unsere Gesellschaft öffnet sich immer weiter: Wir haben mittlerweile treue Theaterfreunde, die gerne zu uns ins Schloss kommen, um sich unsere Stücke anzusehen, gewinnen aber auch neue. In diesem Jahr treten wir noch mehr in Erscheinung, und dafür danken wir den Ruhrfestspielen.“

Hintergrund:
Vor vier Jahren wurde die Theatergruppe von Sandra Anklam und Silke Echterhoff gegründet. Beide brachten Erfahrungen mit: Anklam ist nach wie vor u.a. auch als Regisseurin für das Schauspielhaus Bochum tätig und inszeniert dort seit nunmehr sechs Jahren für das LWL-Universitätsklinikum Bochum für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatische Medizin und Präventivmedizin unterschiedliche Produktionen, die im Jungen Schauspielhaus Bochum gezeigt werden. Für ihr Debüt bei den Ruhrfestspielen Recklinghausen mit Dostojewskis „Traum eines lächerlichen Menschen“ unter der Regie von Sandra Anklam erhielt die LWL-Klinik Herten 2012 den Anti-Stigma-Preis der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN).

Die LWL-Klinik am Schloss in Herten behandelt Menschen mit Depressionen, Psychosen, Persönlichkeitsstörungen, Demenzen und Abhängigkeitserkrankungen – in Form von ambulanten, tagesklinischen, teilstationären und stationären Angeboten. In diesem Rahmen können Patientinnen und Patienten auch das theatertherapeutische Angebot der Klinik wahrnehmen, bei dem mit Hilfe von Rollenspielen und Übungen unter anderem das Selbstbewusstsein gefördert wird.

Die Beteiligten:
Es spielen Patientinnen, Patienten und Mitarbeitende der Theatergruppe „Bluna Placebo“ der LWL-Klinik Herten.
Kathrin Groß Mrs. Martin
Constanze Jonetat Mr. Smith
Eva K. Mrs. Smith
Claudia Knappik Mrs. Smith
Sandra Laghusemann Mary
Arite Latos Mrs. Martin
H.-J. M. Mr. Smith
Navina Minne Mr. Martin
Monika Noffke Mrs. Smith
Marcel Pichler Feuerwehrhauptmann
Heidi Scheffer Mr. Smith
Petra Schwarz Mr. Martin

Regie: Sandra Anklam
Ärztliche Leitung: Christine Möllering
Bühne und Kostüme: Susann Bieling in Kooperation mit Diakonie/Umweltwerkstatt und Vestische Arbeit/Jobcenter Recklinghausen (Kostüme: Solmiya Leybyuk mit Esengül Akbudak, Ulrike Huck, Ute Nolle, Inocencia Pereyra, Anna Teske; Bühne: Birgit Thyret mit Khaled Abdul-Rahim, Volker Kastner, Osman Kurt, Holger Petermann)
Mitarbeit: Petra Janßen, Marisa Siemer
Licht und Ton: Michael Hopp