25. Juli 2011

Sand im Getriebe?

Demenz wird in Krankenhäusern oft unterschätzt

Adelheid Weber (Name geändert) hat strähnige, graue Haare. Wenn sie durch die Gänge läuft, hebt sie in einem Körbchen in ihrem Rollator immer eine Bürste auf - und einen Regenschirm, falls das Wetter schlecht wird, sagt sie. Die 83-Jährige ist zwar wegen einer Hüftoperation ins St. Marien-Krankenhaus Siegen eingeliefert worden, leidet aber zusätzlich an Demenz. Und das ist das Problem. "Sie müssen dort hin, Frau Weber. Da, wo das Bild mit der Rose an der Tür klebt, ist Ihr Zimmer", weist die Pflegende die verwirrte und verängstigte Seniorin ruhig den Weg zurück ins Bett. Die Gesundheits- und Krankenpflegerin hat gelernt, wie man mit dementen Kranken umgeht. Denn es kommt immer öfter vor, dass Patienten, die mit Brüchen, einer Lungenentzündung oder Herzbeschwerden eingeliefert werden, zugleich an dementiellen Veränderungen leiden, wie es in der Fachsprache heißt.

Das St. Marien-Krankenhaus Siegen hat sich dem Problem dieser Nebendiagnose Demenz gestellt und Mitarbeiter im Umgang mit Demenzkranken geschult. Die Schulung wurde als Projekt von Krankenhaus gemeinsam mit dem Caritasverband Siegen-Wittgenstein sowie dem Demenz-Service-Zentrum Südwestfalen realisiert. Die Organisatoren der Weiterbildung wollten insbesondere eine Sensibilisierung erreichen: Patienten mit Demenz sind nicht Sand im Getriebe eines Krankenhauses. Vielmehr verstärken die ungewohnte Umgebung und eventuelle Nachwirkungen einer Narkose oft die Gedächtnisprobleme und die Desorientierung zusätzlich, was einen besonderen Umgang erfordert.

Studien zufolge leiden rund 15 Prozent der Patienten mit Akuterkrankungen in den Krankenhäusern auch an Demenz. Oft wird die Demenz nicht erkannt, weil bei Aufnahmegesprächen nicht gezielt nach ihr gefragt wird. Mitarbeiter in Medizin und Pflege sind dann nicht darüber informiert, dass ein Patient verwirrt ist. Und das, obwohl die Demenz-Erkrankung auch bei der Vergabe von Medikamenten berücksichtigt werden muss. Ziel muss es sein, mit den älteren Menschen Kontakt aufzunehmen und eine Beziehung aufzubauen, um ihnen Ängste zu nehmen und dadurch die Zeit im Krankenhaus zu erleichtern.

Neben der Vermittlung von Grundkenntnissen zur Demenz wurden im Seminar Wege der Kommunikation und eines adäquaten Umgangs aufgezeigt. Darüber hinaus wurden Instrumente zur Beurteilung des Schmerz- und Ernährungszustandes vermittelt. Gestaltungsmöglichkeiten der Essatmosphäre und Körperpflege wurden vorgestellt und praktisch vertieft. Schließlich vermittelten die Experten von Caritas und Demenz-Service-Zentrum bedarfsgerecht pflegerische Interventionen. Am Ende der Schulung erhielten die Teilnehmer des ersten Kurses neben einem Zertifikat eine Rose als besonderes Zeichen der Anerkennung - vielleicht als Erinnerung an Frau Weber auf der orthopädischen Station.