18. Mai 2011

Riskmanagement bewirkt Verpackungsänderung

Erfolg für das Riskmanagement der Raphaelsklinik Münster

Für den jungen Arzt in der Notaufnahme war die Sache eigentlich klar: 500 Milligramm Aspirin® sollte der Herzinfarkt-Patient erhalten, 100 Milligramm stand auf den kleinen Glasampullen mit dem pulverförmigen Medikament, macht also zusammen fünf Ampullen, die mit dem Lösungsmittel verdünnt als Infusion verabreicht werden müssten. Wenn nicht ein erfahrener Kollege im Vorübergehen einen Blick auf die stattliche Reihe von Glasfläschchen geworfen hätte, wäre dem Patienten versehentlich die fünffache Menge Aspirin® verabreicht worden, Vergiftungserscheinungen wie Asthma-Anfälle, Nierenversagen oder allergische Reaktionen aller Art wären die Folge gewesen.
Was war passiert? Der Inhalt einer Ampulle beträgt nicht 100 Milligramm sondern 500 Milligramm des Wirkstoffs. Aufgelöst mit dem beigefügten Lösungsmittel entsteht eine Konzentration von 100 Milligramm pro Milliliter, dieser Wert stand entgegen der ansonsten üblichen Verfahrensweise auf der Medikamentenverpackung. Ursache für den Beinahe-Zwischenfall war somit eine missverständliche Beschriftung der Ampullen und der Verpackung. "Die Angabe auf den Fläschchen wurde von dem Kollegen in der Eile einfach falsch interpretiert", erläutert Dr. Norbert Gödde von Risiko-Management der Raphaelsklinik.
Die beteiligten Mitarbeiter der Notfallambulanz reagierten schnell und vorausschauend, sie informierten das Team vom Risiko-Management. Denn was in einem Krankenhaus passiert, kann sicher auch in anderen Kliniken vorkommen und dann wäre der Vorfall vielleicht weniger glimpflich für den Patienten abgelaufen. Bei der Bayer AG gingen aus rund einem Dutzend weiterer Kliniken entsprechende Meldungen ein, der Konzern reagierte prompt und beantragte beim zuständigen Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte die Änderung der Etikettierung, heute steht 500 Milligramm auf der Verpackung, eine Fehldosierung ist somit praktisch ausgeschlossen.
Dr. Herbert Schäfer von der Bayer Vital GmbH ist dankbar für solche Hinweise aus der Praxis: "Vermutlich sind solche Verwechslungen schon häufiger vorgekommen, wenn wir aber von den Krankenhäusern keine Rückmeldungen erhalten, können wir auch nicht reagieren!"
Um Risiken im täglichen Arbeitsablauf frühzeitig zu erkennen und in einem strukturierten Prozess zu beseitigen, wurde das Risiko-Management entwickelt. Die Raphaelsklinik hat schon früh mit dem Aufbau eines solchen Systems begonnen, Vorbild war seinerzeit die Lufthansa, die deutschlandweit Maßstäbe auf diesem Gebiet gesetzt hat. In den letzten Jahren konnten schon mehrere Risikoquellen in der Raphaelsklinik nach Hinweisen von Mitarbeitern identifiziert und beseitigt werden.
Die Bereichsleitung Sabine Waltersmann berichtet von einem Fall, in dem einer Krankenschwester auffiel, dass sich Patienten mit Bewegungseinschränkungen in vielen Wartebereichen nicht bemerkbar machen konnten. Im Notfall hätte dies bedeutet, dass keine Hilfe herbeigerufen werden kann. Nach der Meldung an das Risiko-Management wurden in diesen Bereichen Klingelanlagen installiert. "Pro Jahr bearbeiten wir zwischen 30 und 50 Hinweise von Kollegen aus der Klinik", berichtet Gödde.
"Es geht uns nicht darum, nach einem Schuldigen zu suchen", betont Volker Wensing, pflegerischer Leiter der Intensivstation und ebenfalls im Team des Risiko-Managements. "Wir wollen wissen, ob Fehler aufgetreten sind oder wo es zu Beinahe-Vorfällen kam." Jeder Mitarbeiter kann solche Vorfälle anonym melden, die Formblätter sind einfach im Intranet der Klinik aufrufbar. Die Klinikleitung hat sich schriftlich dazu verpflichtet, keine personalrechtlichen oder sonstigen disziplinarischen Konsequenzen aus einer solchen Meldung zu ziehen, auch dann nicht, wenn der Verursacher eindeutig zu identifizieren wäre.