24. Juli 2019

Pflegefachtagung 2019

Selbstbestimmt oder fremdgesteuert? – Performance, Vorträge und Arbeitsgruppen über Autonomie

Dass Pflege nicht gleich Pflege ist, das beweisen seit vielen Jahren schon die Pflegefachtagungen der LWL-Klinik Herten für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatische Medizin im Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) mit ihren modernen und außergewöhnlichen Leitthemen. Auch in diesem Jahr sprachen die Referenten vor ausgebuchtem Haus – in diesem Jahr über „Autonomie“.

„Auf unseren Tagungen geht es nicht um klassische Pflege-Themen wie Körper- und Behandlungspflege“, beschreibt Uwe, Braamt, Pflegedirektor und Gründer der Pflegefachtagung in Herten. „Vielmehr befassen wir uns hier mit Themen der Beziehungs- oder Umgangspflege sowie mit Pflegeprozessen, die den Patienten und den Profi gleichermaßen betreffen.“

Das Thema „Autonomie“ ist dabei wie schon in den Jahren zuvor ein Baustein aus der Recovery-Reihe. „Recovery lässt sich im psychiatrischen Zusammenhang am besten mit Wiedergesundung übersetzen. Das Recovery-Konzept setzt an das Genesungspotenzial der Betroffenen an und unterstützt einen Prozess der persönlichen Gesundung“, erklärt Uwe Braamt. „Wir als Profis nehmen dabei eine förderliche Haltung ein und begleiten die Patienten auf ihrem individuell gewählten Weg.“ Zu den Recovery-Themen der vergangenen Jahre zählten beispielsweise Zuversicht, Sinn, Identität und Selbstwirksamkeit.

Die Tagung startete mit der starken Aktionskunst eines psychiatrieerfahrenen Experten: Guido Elfers, der als Genesungsbegleiter in der LWL-Klinik Herten beschäftigt ist, stellte zusammen mit Patienten und Mitarbeitenden der Klinik ein hoffnungsvolles Kunstprojekt dar. Mit seiner 15-minütigen Performance machte er deutlich, wie Zwang im Inneren eines psychisch erkrankten Menschen aussehen und wirken kann und wie groß der Wunsch ist, trotz der Erkrankung eigenverantwortlich und autonom leben zu können. Im Mittelpunkt der Kunstaktion stand eine mit Stacheldraht versehene schwarze Box, in der sich ein fiktiver Patient befand. Im Laufe der Performance wurde dieser aus dem Zwangsraum befreit. Auf ruhige und eindrückliche Art wurden im Verlauf Behandlungselemente demonstriert wie das Trommelspiel in der Musiktherapie, Qigong und Achtsamkeitsübungen in der Bewegungstherapie, das Schreiben in der Schreibwerkstatt oder der Gesang aus der Sing-Gruppe. „Es ist wie eine Reise“, vergleicht Guido Elfers das Leben mit einer psychischen Erkrankung. „Wir erleben viel, machen Erfahrungen, verirren uns zwischendurch und finden wieder neue Wege, mit der Erkrankung umzugehen.“

Auf der Tagung sprachen Referentinnen und Referenten, die sich bereits seit vielen Jahren beruflich mit den Inhalten des Recovery-Prozesses auseinandersetzen. Aber auch Erfahrungsexperten und Genesungsbegleiter kamen zu Wort, die als „Betroffene“ über ein unschätzbares Wissen verfügen. Dem trialogischen Ansatz folgend wurde auch die Sichtweise der Angehörigen erfasst: Für diese Gruppe ist es oft eine Herausforderung, die richtige Entscheidung für den erkrankten Angehörigen zu treffen – zwischen Autonomie und dem Recht auf Hilfe. „Es war uns wichtig, die verschiedenen Perspektiven auf das Thema einzufangen“, so Uwe Braamt. „Wie wird Autonomie erlebt. Was bedeutet Selbstbestimmung, wenn sie im Leben einmal entglitten ist. Was können wir als Experten in der Pflege selbstbestimmt dafür tun, um Autonomie bei den Patienten zu befördern.“ Nach den Vorträgen hatten die Teilnehmenden Gelegenheit, ihr neues Wissen in Arbeitsgruppen zu vertiefen.

Hintergrund:
Die Pflegefachtagungen im Schloss der LWL-Klinik Herten haben eine längere Tradition. Seit über 15 Jahren bieten sie Pflegekräften und Psychiatrieerfahrenen, die in der Psychiatrie tätig bzw. an den Fachthemen interessiert sind, eine Möglichkeit, sich auszutauschen. Die Auswahl der Themen orientiert sich vor allem an der Beziehungsarbeit mit den Patienten, mit den Kollegen, mit den Angehörigen bzw. auch untereinander. „Unsere Tagung war schnell ausgebucht“, so Braamt, „was uns zeigt, dass wir mit unseren außergewöhnlichen Tagungsthemen und -schwerpunkten richtig liegen.“ Jedes Jahr zieht die Pflegefachtagung über den Kreis Recklinghausen hinaus interessiertes Fachpublikum an. Die Referenten beziehen dabei Stellung zu aktuellen Themen aus der Forschung und dem Pflegealltag.

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Auch Gesang und Musik waren Teil der Performance, mit der die Pflegefachtagung startete.

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Aktionskünstler Guido Elfers (rechts oben mit rotem Polo-Shirt) zusammen mit Teilnehmern der Performance-Gruppe nach ihrem Auftritt. (Bildquellen: LWL)