31. Mai 2012

LWL-Klinik Herten goes Ruhrfestspiele

Wolfram Koch und Patienten spielen Dostojewskis „Traum eines lächerlichen Menschen“

Zwei aus der Region nicht wegzudenkende Institutionen gehen außergewöhnliche Wege: Die LWL-Klinik Herten für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik im Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) haben in den vergangenen Monaten mit Unterstützung der Ruhrfestspiele Recklinghausen ein Theaterprojekt auf die Beine gestellt, welches nun an den kommenden beiden Abenden vor Publikum präsentiert wird. Kein einfaches Stück, welches Patientinnen und Patienten sowie Mitarbeitende der LWL-Klinik Herten gemeinsam mit dem aus Theater, Film und Fernsehen bekannten deutschen Schauspieler Wolfram Koch morgen Abend erstmalig auf die Bühne bringen. „Der Traum eines lächerlichen Menschen“ frei nach Fjodor Dostojewski stellt die Extreme menschlicher Existenz gegen- und auch zueinander – Gut und Böse, Leben und Tod, Glaube und Nihilismus, Zynismus und Verherrlichung, Manie und Depression.
Kurz zum Inhalt: Ein Mensch verliert sich in Depression und wird zum Opfer seiner Überzeugungen: Er spürt nichts mehr, alles wird ihm gleichgültig. Er schaut zum Himmel und sieht zwischen bodenlosen schwarzen Flecken einen Stern. Er beschließt, sich noch in dieser Nacht zu erschießen. Etwas zupft an seinem Arm. „Das Mädchen war vielleicht acht Jahre alt, in einem dünnen Kleidchen, ganz durchnässt. ... Sie weinte nicht, aber sie stieß wie stockend irgendwelche Worte hervor, undeutlich, da sie vor Kälte am ganzen Leibe zitterte.“
Dostojewski stellt die Frage: Was hält den Menschen in Verzweiflung und Depression davon ab, sich das Leben zu nehmen? Und er zeigt, dass in der Verzweiflung auch eine Chance liegt, die Suche nach dem Sinn des eigenen Lebens. Die Befreiung von nachtschwarzer Leere geschieht durch die Wahrnehmung des Leides, durch das Mitleid mit dem kleinen Mädchen. „Es war mir, als konnte ich jetzt nicht mehr sterben, bevor ich nicht irgendetwas gelöst hatte.“
Theater ist Kunst und Therapie zugleich: Die mitwirkenden Patientinnen und Patienten erhielten im Rahmen einer Theatertherapie, die in der LWL-Klinik Herten für Menschen mit Depressionen, Persönlichkeitsstörungen, Abhängigkeitserkrankungen und anderen psychischen Erkrankungen seit einigen Jahren angeboten wird, Zugang zu diesem außergewöhnlichen Theaterprojekt. Dr. Luc Turmes, Ärztlicher Direktor der LWL-Klinik Herten, freut sich über dessen Realisierung und dankt der Ruhrfestspiel-Leitung: „Sie stand dem Projekt von Anfang an sehr aufgeschlossen gegenüber und unterstützt unsere Idee, indem sie der Theatergruppe mit Wolfram Koch einen professionellen Schauspieler an die Seite stellt.“ Gemeinsam mit Sandra Anklam, Drama- und Theatertherapeutin der LWL-Klinik Herten, sowie Dr. Silke Echterhoff, Ärztin in der LWL-Klinik Herten, wurde die Idee umgesetzt. Beide bringen Erfahrungen mit: Sandra Anklam ist u.a. auch als Regisseurin für das Schauspielhaus Bochum tätig und hat zusammen mit Silke Echterhoff eine Theaterproduktion im LWL-Universitätsklinikum Bochum für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatische Medizin und Präventivmedizin begleitet, die im Jungen Schauspielhaus schließlich aufgeführt wurde.
Die LWL-Klinik Herten geht mit ihrem theatertherapeutischen Angebot ungewöhnliche Wege: Patientinnen, Patienten und Mitarbeitende stehen gemeinsam mit einem professionellen Schauspieler auf der Bühne und setzen sich über das Medium Theater mit ästhetischen Mitteln, einer literarischen Vorlage und nicht zuletzt mit sich selbst auseinander.
Die Teilnehmenden zeigen über die Arbeit Aspekte ihrer Persönlichkeit, die über ihre Rolle als Erkrankte oder Mitarbeitende wenig oder gar nicht im Fokus der Wahrnehmung stehen: Kreativität, Übernahme von Verantwortung, Auseinandersetzung mit gleichermaßen künstlerischen wie persönlichen Themen, sowie den Mut und die Bereitschaft sich auch in der jeweiligen Rolle zu zeigen.
Was verleiht dem eigenen Leben Bedeutung? Wofür lohnt es sich zu leben? Wie groß kann Verzweiflung sein und worin liegt das Glück der kleinen Dinge? Diesen und anderen Fragen gehen die Protagonisten der Inszenierung nach und nehmen Dostojewskis Text als Ausgangspunkt einer Reise, die zu Bildern über Widersprüche, Sehnsüchte, Leben und Tod führt. Erfahrungen des Scheiterns gehören auf dieser Reise genauso dazu wie die Erkenntnis, dass geteiltes Leid halbes Leid und geteilte Freude manchmal doppelte Freude sein kann.

Fotoquellen: Edi Szekely/LWL-Klinik Herten