08. Oktober 2011

Kinder psychisch kranker Eltern in den Blick nehmen

Fachtagung mit 200 Experten

Rund 27 Prozent der stationär behandelten Psychiatrie-Patienten haben Kinder unter 18 Jahren. Das Risiko, dass Kinder psychisch kranker Eltern selbst psychisch erkranken, ist deutlich höher als in unbelasteten Familien. Um hier vorzubeugen, veranstaltete die Alexianer Aachen GmbH jetzt die hochkarätige Fachtagung "Und wer fragt nach den Kindern?"
Rund 200 Experten aus dem Gebiet der StädteRegion Aachen nahmen teil, Mitarbeiter der Kinder-, Jugend- und Erwachsenen-Psychiatrie, von Jugend- und Gesundheitsämtern, niedergelassene Psychotherapeuten und verwandte Berufsgruppen. "Wir hatten ursprünglich mit maximal 100 Teilnehmern gerechnet", berichtet Dr. Michael Plum, Ärztlicher Direktor des Alexianer-Krankenhauses Aachen. "Dann kamen aber deutlich über 200 Anmeldungen. Der große Zuspruch zeigt, wie wichtig das Thema ist."
Ziel der Veranstaltung war es, Kinder als Angehörige stärker in den Blick zu nehmen. "Oft kommt die ganze Familie in eine Ausnahmesituation, wenn ein Elternteil psychisch erkrankt", erklärt Dr. Britta Souvignier, themenbeauftragte Ärztin im Alexianer-Krankenhaus Aachen, die Situation und unterstreicht: "Damit die Kinder gut durch diese schwierige Zeit kommen, brauchen sie Menschen, die ihre Sorgen ernst nehmen und ihnen helfen, zu verstehen, was geschieht." Die Tagung zeigte den Teilnehmern daher Belastungen und Bewältigungsstrategien von Kindern auf sowie Methoden für die Arbeit mit ihnen.
Kinder mit einem psychisch kranken Elternteil sind konfrontiert mit Verwirrung, Sorge und Hilflosigkeit, meist jedoch ohne Wege zu ihrer Unterstützung und Entlastung zu kennen. Zusätzlich hindert Loyalität zu ihren Eltern und Scham sie daran, sich Bezugspersonen anzuvertrauen. "Gleichzeitig brauchen die Kinder für eine gesunde Entwicklung selbst Schutz und Unterstützung durch ihr Umfeld. In dieser Spannung aufzuwachsen, bedeutet für sie eine Anpassungsleistung an schwierigere Bedingungen als ihre Altersgenossen sie leisten müssen", macht Dr. Souvignier deutlich. Für einige dieser Kinder kann das zu einer ungewöhnlichen Reife, Verantwortungsfähigkeit und Lebenserfahrung führen. Für andere Kinder erhöht sich das Risiko, selbst psychisch zu erkranken. So ist auch zu erklären, dass 50 Prozent der Patienten stationärer kinder- und jugendpsychiatrischer Behandlung Kinder von psychisch kranken Eltern sind.
Der Psychologe Professor Dr. Albert Lenz, Katholische Hochschule Paderborn, eröffnete die Tagung mit dem Vortrag "Belastungen und Bewältigungsstrategien von Kindern psychisch kranker Eltern". Er unterstrich, dass das Risiko von Kindern psychisch kranker Eltern, selbst psychisch zu erkranken, um das Dreifache höher liege als bei anderen Kindern. In seiner Forschung befasst er sich schwerpunktmäßig mit der Frage, wie sich dieses Risiko minimieren lässt - und gab den Teilnehmern sehr konkrete Handlungsempfehlungen mit auf den Weg. So sei es zunächst wichtig bei der Behandlung der Eltern diese auch in ihrer Elternrolle wahrzunehmen. Denn nur wer nach den Kindern frage, könne klären, ob die Kinder Unterstützung benötigten. Er empfahl den Aufbau funktionierender Kooperationen zwischen der Erwachsenenpsychiatrie einerseits und der Kinder- und Jugendhilfe andererseits, um den Kindern adäquate Unterstützungsangebote machen zu können. Wichtig sei für die Kinder, möglichst frühzeitig ihrem Alter angemessene Informationen über das Krankheitsbild der Mutter oder des Vaters zu erhalten und sie bei der Entwicklung von Bewältigungsstrategien zu unterstützen. Lenz empfahl, zunächst alltägliche Probleme aus dem Leben der Kinder in den Blick zu nehmen und hieran Problemlösungsstrategien zu erarbeiten. Studien untermauerten die hohe Wirksamkeit dieser Vorgehensweise. Durch das Üben an kleinen Problemen erfahre das Kind Bestätigung und damit Stärkung in seiner Belastung durch das große Problem der elterlichen Krankheit. Nach dem Vortrag folgten Workshops, die einzelne Punkte noch einmal aufgriffen. Den Workshop über Methoden und Strategien für die Arbeit mit Kindern und ihren Familien leitete Professor Lenz. Die Diplom-Sozialpädagogin Vera Magolei vom Kinderschutzbund Aachen berichtete über Erfahrungen aus dem Modellprojekt "AKisiA - Auch Kinder sind Angehörige!" Den Workshop "Kinder als Angehörige in der Erwachsenenpsychiatrie" leitete Dr. Britta Souvignier.
Bereits seit Jahren befasst sich das Alexianer-Krankenhaus mit der Situation der Kinder seiner Patienten. So verfügt das Krankenhaus beispielsweise über Eltern-Kind-Zimmer, damit Patienten auch mit Kind aufgenommen werden können, wenn die familiäre Situation es erfordert. Es gibt regelmäßig Führungen für Kinder psychisch kranker Eltern, damit die Kinder den Ort, an dem sich ihre Eltern aufhalten, gründlich kennenlernen können. So erhalten sie Einblick, und es entsteht automatisch ein Raum für Fragen über die Erkrankung. Zusätzlich informiert AKisiA die Patienten des Alexianer-Krankenhauses regelmäßig über das Angebot für Kinder und Familien, das unter anderem Einzel- und Familiengespräche, kindgerechte Informationen über psychische Krankheiten, Gruppenangebote für Kinder und Jugendliche zum Austausch eigener Erfahrungen, Freizeitangebote für die Familien oder auch Eltern- und Erziehungsberatung umfasst.
Unmittelbar an die Fachtagung schloss sich ein Workshop für Mitarbeiter des Alexianer-Krankenhauses an, wie die neuen Impulse noch besser in den Arbeitsalltag integriert werden können. "Für die Behandler in der Erwachsenenpsychiatrie bedeutet das, die Patienten mit Kindern auch in ihrer Elternrolle wahrzunehmen. Gelingt es, den psychisch kranken Eltern konkrete Hilfen bei ihren Problemen in der Elternfunktion zu geben, so kommt das sowohl ihren Kindern als auch ihnen selbst direkt zugute", verdeutlichte Dr. Plum. Die Alexianer werden die von Professor Lenz für die Erwachsenenpsychiatrie entwickelten Handlungsempfehlungen umsetzen und eine stärkere Vernetzung mit Angeboten der Kinder- und Jugendhilfe anstreben.
Das Alexianer-Krankenhaus Aachen bietet 220 Plätze für stationäre und tagesklinische Angebote auf dem Gebiet der Allgemeinpsychiatrie, der Gerontopsychiatrie, der qualifizierten Suchtbehand-lung, Psychotherapie und Psychosomatischen Medizin. Darüber hinaus besteht eine leistungsfähige Institutsambulanz mit dichtem Komplexleistungsangebot sowie ein differenzierter arbeitstherapeutischer Bereich. Insgesamt kommt ein weites Spektrum modernster Diagnoseverfahren, Therapien, Behandlungs- und Betreuungsansätze zum Einsatz. Träger des Alexianer-Krankenhauses Aachen ist die Alexianer Aachen GmbH. Zu ihr gehört neben dem Krankenhaus auch der Alexianer-Wohnverbund in Aachen. Der Wohnverbund bietet Menschen mit psychischen und geistigen Behinderungen Wohnmöglichkeiten und Beschäftigungsangebote. Er betreut täglich rund 500 Menschen mit Behinderung.

Foto: Die Experten der Fachtagung (v. l.): Professor Dr. Albert Lenz, Katholische Hochschule Paderborn, Petra Kleinen und Vera Magolei, AKisiA/Kinderschutzbund Aachen, Dr. Michael Plum, Ärztlicher Direktor, Dr. Britta Souvignier, themenbeauftragte Ärztin, und Jutta Weber, Pflegerische Fachbereichsleitung Allgemeinpsychiatrie im Alexianer-Krankenhaus Aachen