10. September 2012

Die Änderung der Diätverordnung und ihre Folgen für Diabetiker

Diabetesberaterin Anja Lemloh im Interview

Spezielle Kekse, Brotaufstriche, Fertiggerichte oder Schokolade für Diabetiker wiegen Betroffene oft in trügerischer Sicherheit, ihrem Körper damit etwas Gutes zu tun und davon unbegrenzt essen zu können. Dabei ist mittlerweile wissenschaftlich erwiesen, dass der Einsatz sogenannter Diabetiker-Lebensmittel in der Kost schlichtweg überflüssig ist. Der Gesetzgeber reagierte darauf im Oktober 2010 mit einer Änderung der Diätverordnung und hob die darin enthaltenen Vorschriften zur Kennzeichnung von Diabetiker-Lebensmitteln (§ 12) auf. Ende September läuft nun die zweijährige Übergangsfrist ab, sodass es fortan keine speziellen Diabetiker-Produkte mehr zu kaufen geben wird. Was das im Einzelnen für die Betroffenen bedeutet, erläutert Anja Lemloh, Diplom-Oecotrophologin und Diabetesberaterin am Universitätsklinikum Knappschaftskrankenhaus Bochum.

Was ändert sich für den Patienten?
Er spart künftig Geld, Kalorien und kauft keine überflüssigen Lebensmittel mehr, da alle Produkte mit dem Hinweis „Für Diabetiker geeignet“ ab Oktober aus den Supermarkt- und Reformhausregalen verschwinden.

Das klingt revolutionär. Oder?
In unseren Ernährungsberatungen empfehlen wir schon seit Jahren, auf spezielle diätische Lebensmittel zu verzichten und sich stattdessen an die Ernährungsempfehlungen zu halten, die auch für die Allgemeinbevölkerung gelten: Eine ausgewogene und vollwertige Ernährung also. Viele Patienten meinen, dass sie sich mit den höher preisigen Diätprodukten etwas Gutes tun. Dabei sind diese geschmacklich oft nicht berauschend und haben oft auch noch einen höheren Fettanteil und damit mehr Kalorien als übliche Produkte, was für die zumeist übergewichtigen Patienten natürlich kontraproduktiv ist.

Welche besonderen Bestandteile haben Diabetes-Lebensmittel?
Entsprechend den Vorgaben der Diätverordnung durften die Hersteller in ihren Produkten keinen herkömmlichen Zucker verwenden, nur Süß- und Zuckeraustauschstoffe waren erlaubt. Zuckeraustauschstoffe wie beispielsweise Fruchtzucker (Fruktose) oder Sorbit haben aber gegenüber herkömmlichem Zucker keine nennenswerten Vorteile in Bezug auf die Blutzuckerreaktion und sind deshalb nicht zu empfehlen. Die oft als positiv eingestufte Fruktose bringt sogar eher Nachteile mit sich. Sie kann die Blutfette und damit den ungünstigen Cholesterinwert beeinflussen. Zudem können die verwendeten Zuckeraustauschstoffe bei empfindlichen Personen zu Blähungen und Durchfall führen.

Sehen Sie im Zusammenhang mit der Änderung der Diätverordnung Probleme?
Ja, denn viele wissen nicht, dass nicht nur die Kennzeichnung als spezielles Diätprodukt wegfällt, sondern auch die Deklaration der Broteinheiten. Das ist kritisch, denn Typ-1 und Typ-2-Diabetiker mit einer intensivierten Insulintherapie müssen auch künftig ihre Kohlenhydratmengen abschätzen, um ihren Insulinbedarf entsprechend dosieren zu können.

Welchen Rat können Sie Betroffenen geben?
Sie sollten die auf der Verpackung angegebene Kohlenhydratmenge als Orientierungshilfe nehmen und daraus die Broteinheiten selbst berechnen. Die Faustformel dazu lautet: 10 Gramm Kohlenhydrate ergeben eine Broteinheit. Im Handel gibt es dazu auch entsprechende Tabellen, in denen der BE-Gehalt von Fertigprodukten oder Süßigkeiten nachgeschlagen werden kann.

Gibt es sonst noch eine goldene Regel, die Sie Betroffene mit auf den Weg geben können?
Weiterhin gilt, dass Diabetiker Zucker sparsam einsetzen müssen. Nach den Leitlinien der Deutschen Diabetes Gesellschaft lautet die Empfehlung: nicht mehr als 50 Gramm Zucker am Tag. Erreicht ist diese Tagesmenge schnell; beispielsweise durch den Verzehr einer Handvoll Weingummi und einen kleinen Becher Fruchtjoghurt. Wir raten daher, auf alle herkömmlich gesüßten Limonaden, naturreine Säfte auch ohne Zucker und auf Gummibären sowie Bonbons zu verzichten. Stattdessen sollten Betroffen lieber zu Mineralwasser, ungesüßten Tee und mit Süßstoff versetzte Getränke greifen. Auch zwischendurch ein Stückchen Schokolade ist erlaubt.

Infokasten
Die zehn Regeln der Deutschen Gesellschaft für Ernährung, an die sich jedermann, also auch Diabetiker halten sollten:
• Ernähren Sie sich abwechslungsreich und vielseitig
• Essen Sie viel Vollkorn-, Getreideprodukte und Getreide und Kartoffeln
• Machen Sie mit bei „5 am Tag“ (fünf Mal Obst und Gemüse)
• Täglich Milch und Milchprodukte, 1–2 Mal pro Woche Fisch/ Fleisch/ Wurstwaren sowie Eier in Maßen
• Essen Sie wenig Fett und wenig fettreiche Lebensmittel
• Setzen Sie Salz und Zucker sparsam ein
• Trinken Sie ausreichend (kalorienarme Getränke wie Mineralwasser und Tee oder auch mit Süßstoff gesüßte Limonaden in Maßen)
• Achten Sie auf eine schmackhafte, schonende Zubereitung
• Nehmen Sie sich zum Essen Zeit und genießen Sie es
• Achten Sie auf Ihr Gewicht und bleiben Sie in Bewegung

Um seine Patienten ausführlich über das Thema zu informieren, hat das Universitätsklinikum Knappschaftskrankenhaus eine Broschüre aufgelegt. Diese kann im Servicebereich auf der Internetseite www.kk-bochum.de herunterladen werden.