06. Dezember 2023

Wissenschaft in der Politik: Hilfsmittel oder Schauspiel?

Podiumsdiskussion bei KGNW-Forum zeigte manches Dilemma der Krankenhausreform auf

© KGNW/Roberto Pfeil Fast 300 Gäste hatten den Weg zum KGNW-Forum unter dem Motto „Reformdebatte – Frisst die ,Revolution’ Ihre Krankenhäuser“ im Düsseldorfer Maritim-Hotel gefunden. Sie verfolgten interessiert die Podiumsdiskussion zum Verhältnis zwischen Wissenschaft und Politik. Moderiert wurde sie vom Radiojournalisten Ralph Erdenberger (im Bild rechts). Denn aktuelle Brisanz hat die Debatte durch die Bildung einer Regierungskommission zur Gestaltung einer Krankenhausreform auf Bundesebene gewonnen. Dieses Gremium hatte Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach bewusst mehrheitlich mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern besetzt. Zugleich schloss er die als „Lobbyisten“ bezeichneten Fachleute aus der Krankenhaus-Praxis weitestgehend aus.

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Ingo Morell, Präsident der Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen (KGNW) begrüßte die Gäste des KGNW-Forums 2023
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Rund 300 Gäste hatten den Weg zum KGNW-Forum gefunden
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V.l.n.r.: Prof. Henriette Neumeyer, Prof. Dr. Erika Raab, Dr. Georg Kippels, Maria Klein-Schmeink, Dr. Martin Florack, Ralph Erdenberger
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Prof. Dr. Erika Raab setzte sich kritisch mit der Arbeit der „Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung“ auseinander.
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Dass es mitunter für Wissenschaftler schwierig ist, die Politik bei ihren Entscheidungen zu beraten, erklärte Dr. Martin Florack
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Ihr durchaus zwiespältiges Verhältnis zu wissenschaftlichen Ansätzen beschrieb die Bundesabgeordnete Maria Klein-Schmeink (4. von links).
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Geringe Bedeutung misst Dr. Georg Kippels (3. von links) der Rolle der Wissenschaft zu
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Ralph Erdenberger führte durch das KGNW-Forum 2023
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Das Motto des KGNW-Forums 2023: „Reformdebatte – Frisst die ,Revolution’ Ihre Krankenhäuser“
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Prof. Henriette Neumeyer (links) kritisierte den inhaltlichen Ansatz der Krankenhausreform
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Nach dem Podium waren aus Berlin zugeschaltet: Bundesgeundheitsminister Karl Lauterbach und NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann
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Verlor bis heute leider nicht an Aktualität: die Skulptur des Künstlers Jacques Tilly

In einem Impulsvortrag setzte sich Prof. Dr. Erika Raab (2. von links), unter anderem Vorstandsvorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Medizincontrolling, kritisch mit der Arbeit der „Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung“ auseinander. Eine wissenschaftlich fundierte Expertise müsse ihre Faktenbasis transparent machen und die Auswirkungen mit analysieren. Beides vermisse sie, weshalb einige Aussagen der Kommission wissenschaftlich nicht belastbar seien. Dass es mitunter für Wissenschaftler schwierig ist, die Politik bei ihren Entscheidungen zu beraten, erklärte Dr. Martin Florack (2. von rechts), Politikwissenschaftler und Leiter des Wissenschaftscampus NRW, in einem zweiten Impulsreferat. Komplexe Zusammenhänge mit dem Wunsch nach Vereinfachung überein zu bringen – keine einfache Aufgabe.

Ihr durchaus zwiespältiges Verhältnis zu wissenschaftlichen Ansätzen beschrieb die Bundesabgeordnete Maria Klein-Schmeink (4. von links), stellvertretende Fraktionsvorsitzende Bündnis 90/Die Grünen: „Die Wissenschaft stellt in meiner täglichen politischen Arbeit ein gutes Korrektiv dar, taugt aber in der Praxis nicht immer als tragfähige Lösung.“ Entscheiden müsse letztlich die Politik: „Ich muss als Politikerin oft eine Abwägung treffen. Das ist mein Job.“ Bezogen auf die Krankenhausreform heißt das ihrer Meinung nach: „Die Krankenhauskommission zeigt Empfehlungen, auf die wir uns bei politischen Entscheidungen stützen. Bei der Reform versuchen wir, eine Gemeinsamkeit herzustellen. Da kann Wissenschaft entscheidend helfen.“

Entscheidungen aus erratischem Chaos

Noch geringere Bedeutung misst Dr. Georg Kippels (3. von links), Bundestagsabgeordnete und Obmann der CDU/CSU-Fraktion im Gesundheitsausschuss des Bundestages, der Rolle der Wissenschaft zu: „Wissenschaft ist ein Hilfsmittel. Sie hilft mir dabei, mich in fachfremde Bereiche einzuarbeiten, um daraus Entscheidungen zu treffen, die dem Gemeinwohl gerecht wird.“

Zu wenig für eine Wissenschaftlerin wie Prof. Raab: Sie erinnerte sich an eine Anhörung im Bundesgesundheitsausschuss, bei der ihr als Expertin nach einer 30-sekündigen Fragestellungen lediglich zweieinhalb Minuten Zeit für die Beantwortung blieben: „Da frage ich mich, auch als Juristin: Was ist da noch eine Anhörung? Das erinnert mich eher an ein Schauspiel.“ Sie forderte neben fundierten Auswirkungsanalysen auch bei der Krankenhausreform mehr Zeit ein: „Man braucht auch Zeit, das durchzulesen.“ Damit rannte sie bei Oppositionspolitiker Dr. Kippels offene Türen ein: „Es wäre bei der Krankenhausreform deutlich mehr Zeit notwendig. Ein Durchgang mit einer Anhörung reicht nicht.“ Dr. Florack sieht die Politik ebenfalls unter permanentem Zeitdruck: „So fallen unsere politischen Entscheidungen manchmal aus einem völligen erratischen Chaos.“

Prof. Henriette Neumeyer (ganz links), stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), stellte die rhetorische Frage: „Haben wir genug Pluralität in der Diskussion und Entscheidungsfindung?“ Klar sei aber auch, dass es eine eindeutige Wahrheit aus Sicht der Wissenschaft nicht geben könne. Wahrheit sei temporär, das heißt, sie verfalle. Man müsse sich eine Offenheit bewahren. Kritik übte sie am inhaltlichen Ansatz der Krankenhausreform: „Wenn ich die These vertrete, dass weniger Standorte eine bessere Versorgung gewährleisten, dann verliere ich einen Gestaltungsspielraum.“ Es fielen damit andere Aspekte wie Patientensteuerungen oder sozioökonomische Faktoren weg. Damit erntete sie großen Applaus im Auditorium.

Ein knackiger „Live Act mit Tiefgang“ in 20 Minuten – so beschrieb Moderator Ralph Erdenberger die anregende Diskussionsrunde. Sie stellte in seinen Augen mehr als eine „Vorband“ für das danach folgende Ministergespräch zwischen Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach und seinem NRW-Pendant Karl-Josef Laumann dar.