26. Juni 2023
17. Krankenhaus-Qualitätstag: Wenn politische Vorgaben auf Praxis treffen
Wie kann die gesetzliche Qualitätssicherung wieder der Qualitätsförderung dienen?
Bereits zum 17. Mal führte die Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen – erneut in Zusammenarbeit mit der GQMG (Gesellschaft für Qualitätsmanagement in der Gesundheitsversorgung) – den Krankenhaus-Qualitätstag NRW durch. Nach drei pandemiebedingten Auflagen als Webinar fand die Veranstaltung am 6. Juni 2023 zum ersten Mal seit 2019 wieder in Präsenz statt. Rund 100 Teilnehmende kamen im Duisburger Haus der Unternehmer zusammen, um sich über die aktuellen Entwicklungen im Qualitätsmanagement und in der -sicherung auszutauschen. Der 17. Krankenhaus-Qualitätstag gliederte sich in vier Themenblöcke:
- Qualität statt Kontrolle: wie lässt sich die Entwicklung umkehren?
- Mit Systemzertifizierung zu besserer Qualität: Was können ISO 9001 und KTQ beitragen?
- Neues aus der datengestützten einrichtungsübergreifenden Qualitätssicherung (DeQS)
- Änderungen in den Regelungen zum Qualitätsbericht der Krankenhäuser (Qb-R)
Haeske-Seeberg: „Positive Anreize sollen Patientenorientierung stärken!“
Dr. Heidemarie Haeske-Seeberg (Bild) ist Mitglied der Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung und Bereichsleiterin Qualitätsmanagement und klinisches Risikomanagement der Sana Kliniken, Ismaning. Sie präsentierte die „Veröffentlichte Empfehlung der Regierungskommission“ im Bereich der Qualitätsentwicklung.
Die Expertin plädiert dafür, dass nach Umsetzung der von Bundesgesundheitsminister Professor Karl Lauterbach initiierten Krankenhausreform die Prozess- und Ergebnisqualität ein wichtiges Kriterium für die Ausschüttung des Vorhalteanteils für eine Klinik darstelle. Sie benennt aber auch klar das Zuviel an Bürokratie, mit dem sich das Personal Tag für Tag konfrontiert sieht. Darüber hinaus sieht sie Bedarf, die oft zu vage formulierte Qualitätsmanagement-Richtlinie (QM-RL) sinnvoll zu ergänzen. Beispiele: die systematische Einführung und Umsetzung evidenzbasierter Medizin und Pflege, die professionelle Analyse komplikationsbehafteter Behandlungsfälle sowie Vorhaltungen qualifizierten Personals für Qualitätssicherung, Qualitätsmanagement sowie für klinisches Risikomanagement. Potenzial sieht Dr. Haeske-Seeberg im Bereich der datengestützten Qualitätssicherung: „Die Nutzung von bereits vorhandenen Daten muss vorangetrieben werden!“. Mögliche Quellen seien für sie Abrechnungsdaten nach § 21 SGB V, Sozialdaten von Krankenkassen, klinische Register, Patientenbefragungen, von Gesundheitseinrichtungen für diesen Zweck erhobene Daten sowie elektronische Patientenakten. Um in den Krankenhäusern, Gesundheitsregionen und Versorgungsnetzwerken das Bewusstsein eines professionellen Qualitätsmanagements (QM) zu schärfen, möchte die Regierungskommission ein Belohnungssystem etablieren: „Positive Anreize sollen Patientenorientierung stärken!“ Als Mittel soll unter anderem eine freiwillige Zertifizierung des QM-Systems auf der Basis der weiterentwickelten QM-RL dienen. Kliniken, die sämtlichen Anforderungen genügen, sollen mit einer Aufstockung des Vorhaltebudgets um bis zu zwei Prozent belohnt werden.
In der folgenden Diskussion sprachen sich einige Teilnehmende dafür aus, dass der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) die Anforderungen in den Strukturrichtlinien zu differenzieren habe: nach solchen, die für die Leistungserbringung notwendig seien, und „weiteren Q-Anforderungen“, bei deren zeitweiser Nichterfüllung dann kein „Leistungsverbot“ ausgesprochen werden dürfe.
Mit politisch gesetzten Kennzahlen in die Sackgasse
In direkter Erwiderung der Pläne der Regierungskommission zur Modifizierung der QM-Vorgaben kritisierte Dr. med. Markus Holtel, Geschäftsführender und Ärztlicher Direktor des KRH Klinikums Neustadt am Rübenberge eine zu starre Reglementierung: „Die vermeintliche Objektivierung durch politisch gesetzte Kennzahlen und Strukturmerkmale führt in die Sackgasse.“
Vor allem die Schere zwischen Theorie und Praxis sieht er in seinem Vortrag „Qualität statt Kontrolle: Was kann Politik? Wo sollte sie sich raushalten?“ weit auseinanderklaffen. Regeln seien „viel zu oft wenig durchdacht oder schlichtweg schlecht gemacht“. Kennzahlen und Strukturvorgaben produzierten „systematische Verwerfungen und unerwünschte Effekte“. Ihre Umsetzung sei „unglaublich aufwändig“, und sie verfehle dabei auch noch das gewünschte Ziel. Das gelte auch für die von der Regierungskommission vorgeschlagenen Versorgungslevel.
In eine ähnliche Kerbe schlug Dr. med. Christa Welling, im Klinikum Westmünsterland, Ahaus-Bocholt-Borken, verantwortlich für Medizinisches Qualitäts- und Geschäftsfeld-Management. In ihrer Präsentation „Qualitätsdarlegung: Herausforderung aus Sicht des Krankenhauses“ kritisierte sie die zu starren gesetzlichen Vorgaben im Qualitätsmanagement im Krankenhaus. Hier nannte sie die QM-RL des G-BA in der Festlegung und Auswahl der Instrumente und Methoden, die Qualitätsförderungs- und Durchsetzungsrichtlinie 2019 sowie die Richtlinie zur datengeschützten einrichtungsübergreifenden QS (DeQS-RL). Die Folge: zeitintensive Bürokratie und eine interne wie externe Kontrolle, die viel Personal bei medizinischen Fachkräften sowie den Mitarbeitenden im Qualitätsmanagement binde. Zudem sieht sie für die Mitarbeitenden im Krankenhaus eine Vielzahl parallel zu bewältigender Herausforderungen, auch in puncto Digitalisierung. Sie fordert, Überregulierung und kleinteilige Kontrollen abzuschaffen, Dokumentationsaufwand und Redundanzen sowie die Anzahl der Qualitätsindikatoren aus bereits dokumentierten Daten zu reduzieren. Vielmehr solle sich die gesetzliche Qualitätssicherung wieder ihres eigentlichen Ziels, der Qualitätsförderung, besinnen. Qualitätssicherung benötige, passgenau auf die jeweilige Organisation abgestimmt, „Spielraum für Kompetenz, professionelle Werte, informale Agilität“.
QM-Systemzertifizierungen als Normen anerkennen
Während Dr. Heidemarie Haeske-Seeberg und die Regierungskommission die Etablierung eines neuen Zertifizierungssystems im Sinn haben, zeigten zwei Referenten die Vorzüge (und Verbesserungspotenziale) bereits praktizierter Systemzertifizierungen und Normierungen auf. Dr. med. Ulrich Paschen, QM-Beratung in Medizin und Wissenschaft, Fahrdorf, präsentierte die Konformitätsbewertung von QM-Systemen nach ISO 9001 oder EN 15224 im Krankenhaus. Carsten Thüsing, Abteilungsleiter Qualitäts- und klinisches Risikomanagement, Kliniken der Stadt Köln, stellte die KTG-Zertifizierung vor. Sie bestätigen auf Basis eines unabhängigen – in der Regel freiwillig beauftragten – Audits, ein komplexes, anforderungsgerechtes Qualitätsmanagement etabliert zu haben. Knackpunkte: Es existieren viele „bunte Qualitätssiegel“ (Paschen), es fehlen externe Anreize zur Systemzertifizierung (Thüsing). Beide Referenten plädieren dafür, Systemzertifizierungen als Normen für ein systematisches QM anzuerkennen und entsprechend zu vergüten.
Fazit eines spannenden Verlaufs des 17. Krankenhaus-Qualitätstags NRW: Um die Qualitätssicherung und das Qualitätsmanagement für die Zukunft aufzustellen, gibt es kein Patentrezept. Was klar ist: Es gibt ein Zuviel an Bürokratie, es gibt Doppelprüfungen, es gibt konstruktive Verbesserungsvorschläge der Krankenhäuser. Diese dringen aber auf politischer Ebene derzeit noch nicht vollständig durch.
Nach insgesamt knapp sechs Stunden voller Informationen und lebhafter Diskussionen dankte Moderator Burkhard Fischer, Leiter des Referats „Qualitätsmanagement, IT und Datenanalyse“ der KGNW, allen Referierenden. Sie sorgten für den Erfolg des 17. Krankenhaus-Qualitätstags. Als Referentinnen und Referenten standen zur Verfügung:
- Dr. Guido Lerzynski, Geschäftsführer St. Marien-Hospital, Köln
- Dr. Heidemarie Haeske-Seeberg, Bereichsleiterin Qualitätsmanagement und klinisches Risikomanagement, Sana Kliniken AG, Ismaning
- Dr. med. Christa Welling, Medizinisches Qualitäts- und Geschäftsfeld-Management, Klinikum Westmünsterland, Ahaus-Bocholt-Borken
- Dr. med. Markus Holtel, Geschäftsführender und Ärztlicher Direktor, KRH Klinikum Neustadt am Rübenberge
- Dr. med. Ulrich Paschen, QM-Beratung in Medizin und Wissenschaft, Fahrdorf
- Carsten Thüsing, Abteilungsleiter Qualitäts- und klinisches Risikomanagement, Kliniken der Stadt Köln gGmbH
- Christiane van Emmerich, Geschäftsbereich IV Qualität der Versorgung Psychiatrie, Deutsche Krankenhausgesellschaft, Berlin
- Ann Christin Ohmann, Referentin, Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen
- Katrin Stapenhorst, Qualitätsmanagementbeauftragte, Christophorus-Kliniken, Coesfeld
- René Schubert, Geschäftsführer, Deutsche Krankenhaus TrustCenter und Informationsverarbeitung GmbH, Leipzig