31. Mai 2022

Neue Herausforderungen im Qualitätsmanagement: weniger Quantität + weniger Komplexität = mehr Qualität?

16. Krankenhaus-Qualitätstag NRW zeigt Komplexitäten auf

© Vitalii Vodolazskyi - stock.adobe.com Die Anforderungen an das Qualitätsmanagement in den Krankenhäusern werden immer komplexer. Das bestätigte der 16. (digitale) Krankenhaus-Qualitätstag NRW, den die Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen (KGNW) am 19. Mai 2022 durchführte. KGNW-Geschäftsführer Matthias Blum begrüßte bei seinem Eingangsstatement rund 125 Teilnehmerinnen und Teilnehmer, der Großteil davon Beschäftigte im Qualitätsmanagement von NRW-Krankenhäusern. Sie verfolgten intensiv die Vorträge der 14 Referentinnen und Referenten in vier Themenblöcken:

  1. Neues aus der Qualitätssicherung
  2. Erstellung der Qualitätsberichte
  3. Wege aus der „unbrauchbaren Realität“
  4. Qualitätsmanagement in disruptiven Zeiten

Zu umfangreiches Regelwerk in der Qualitätssicherung?

2022 brachte im Vergleich zu den beiden Vorjahren eher kleinere Weiterentwicklungen mit sich. 2020 und 2021 hatten neben der Bewältigung der Corona-Pandemie die Überführung der QSKH (Qualitätssicherung in Krankenhäusern)-Verfahren in die DeQS (Datengestützte einrichtungsübergreifende Qualitätssicherung) und die neuen Qualitätskontrollen der Medizinischen Dienste im Fokus gestanden. Im Juli 2022 wird die erste Patientenbefragung im Rahmen der DeQS-Richtlinie starten. Dazu müssen die Krankenhäuser datenschutzkonform die Adressdaten von Patientinnen und Patienten mit Herzkatheteruntersuchungen oder -behandlungen (PCI) an eine Versendestelle schicken. Diese übermittelt Fragebögen zur Beantwortung an ausgewählte Patientinnen und Patienten. Die Ergebnisse fließen in die Auswertungen für die Qualitätssicherung ein.

Mit Blick auf den überbordenden Regelungswust, insbesondere durch die Beschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), hatten Autorinnen und Autoren der GQMG (Gesellschaft für Qualitätsmanagement in der Gesundheitsversorgung e. V.) und der Deutschen Gesellschaft für Qualität (DGQ) in einem Gastbeitrag in der Fachzeitschrift f&w (Ausgabe 12/2021) einen Perspektivwechsel in der Qualitätssicherung im Gesundheitswesen gefordert. Sie kritisierten darin „ein zu umfangreiches Regelwerk“, das viele gewollte positive Effekte nicht erziele sowie ungewolltes Ausweichverhalten und Regelverstöße auslöse, zudem zu einer Situation führe, „die Menschen in allen Professionen im Gesundheitswesen frustriere“. Überschrieben war der f&w-Gastbeitrag mit „Wege aus der unbrauchbaren Legalität“. Einer der Autoren, Dr. Benedikt Sommerhoff, Leiter Themenfeld Qualität & Innovation, Deutsche Gesellschaft für Qualität (DGQ), war auch beim diesjährigen Krankenhaus-Qualitätstag zu Gast. Er zeigte auf, dass es im Gesundheitswesen immer wieder zu unvorhersehbaren Ad-hoc-Situationen komme, für die es keine oder nur begrenzt vordefinierte Standards für gute Qualität gebe. Ein Beispiel ist die Krisenintervention: Hier bildet die kompetente und situative Handlung der Therapeutinnen und Therapeuten erst die Basis für Qualität oder „Nicht-Qualität“. Benedikt Sommerhoff stellte die Frage zur Diskussion, ob es im Gesundheitswesen – damit auch in den Krankenhäusern – eine andere Art von Qualitätsmanagement (QM)-System geben müsse: Steht das professionsgestützte Qualitätsmanagement, in dem zum Wohle der Qualität auch gegen Regeln verstoßen werden muss, dem administrationsgestützten Qualitätsmanagement, das auf die Einhaltung formaler Regeln pocht, unvereinbar entgegen? „Nein“, sagt der Referent. Doch um zum Wohle der Qualität organisatorische Regeln einzuhalten, plädiert er für „mehr Spielraum für Kompetenz und Werte“ insbesondere bei therapeutischen Maßnahmen. Das verringere in seinen Augen den Druck auf das Personal.

Vom quantitativen zum mehr qualitativen Verfahren

Die übermäßige Reglementierung in der Qualitätssicherung der Krankenhäuser kritisierte auch Dr. Thilo Grüning, Leiter des Dezernats VII Qualitätssicherung, Transplantationsmedizin & Psychiatrie der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG). Anhand von fünf „Thesen zur Zukunft der Qualitätssicherung“ unter dem Titel „Messen allein ist nicht genug“ zeigte er auf, was die „Zukunft der datengestützten gesetzlichen Qualitätssicherung“ erfordere:

  • Fokussierung auf konkrete Qualitätsverbesserung als dem ursprünglichen Zweck der Qualitätssicherung
  • Aufwandsreduktion bei der Datenerfassung durch Behandelnde
  • Größere Schnelligkeit und Flexibilität in der Anpassung der datengestützten QS‐Verfahren
  • Systematische Identifikation von Versorgungsbereichen mit Qualitätsdefiziten oder hohem Verbesserungspotential
  • Fokussierung auf die Lösung von systemischen Qualitätsproblemen
  • Neuausrichtung von einem hauptsächlich statistisch getriebenen Verfahren hin zu einem mehr qualitativen Verfahren

Qualitätssicherung dürfe nicht als Instrument der Marktbereinigung oder als Marktzugangsbeschränkung durch die „Hintertür“ missbraucht werden.

Qualitätssicherung und Qualitätsmanagement verbinden

Dr. Susanne Eberl, Leiterin Qualitätsvergleiche, Qualitätsmanagement und klinisches Risikomanagement Sana Kliniken AG und Sprecherin AG Kennzahlen und externe Qualitätsvergleiche der GQMG, stellte in ihrem Vortrag das Konzept der „behandlungsbegleitenden Qualitätssicherung“ vor, das „Qualitätssicherung und Qualitätsmanagement verbinden“ könne. Wenn es gelänge, die für die externe Qualitätssicherung benötigten Daten zeitnah und behandlungsbegleitend elektronisch zu erfassen, würden die Behandelnden erheblich Zeit einsparen. Dadurch ließe sich die erheblich zeitaufwändigere nachträgliche Datenerfassung vermeiden. Zudem stünden dann die behandlungsbegleitend erfassten Qualitätsdaten für ein zeitnahes QM zur Verfügung.

Die Daten fließen permanent in ein Monitoring der Ergebnisse der Qualitätsindikatoren, das bei Auffälligkeiten Alarm schlägt. Für die Analyse kritischer Fallkonstellationen werden Morbiditäts- und Mortalitätskonferenzen genutzt. Bestimmte Fälle mit Komplikationen, Todesfälle und „Sentinel Events“ (sehr seltene, schwerwiegende Ereignisse) lösen ein umfangreiches einrichtungsinternes „Peer Review“-Verfahren aus. Dabei würden konkrete Maßnahmen und Verbesserungspotentiale vereinbart, deren Umsetzung über definierte Zeitfenster und zugeordnete Verantwortlichkeiten überwacht würde. Daneben gebe es quartalsweise Qualitätsgespräche zwischen Geschäftsführung und Chefärztin oder Chefarzt, bei denen die Qualitätsdaten zur Sprache kämen.

© Dr. Susanne Eberl/Dr. Fritz Untersweg, GQMG

Gemeinsam auf kontinuierliche Verbesserung hin arbeiten

Helena Weiß, Leitung Referat Klinisches Qualitätsmanagement, Alexianer GmbH, fragt in ihrem Vortrag: „Ist Risikomanagement ein Subsystem des Qualitätsmanagements?“ Sie sieht viele Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Bereichen und fordert, anstatt sich zu streiten, wer den „Hut auf hat“, eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen allen Menschen, die im Krankenhaus mit der Verbesserung der Behandlungsprozesse im Krankenhaus befasst sind. Qualitäts- und Risikomanagement-Prozesse seien komplex. Daher ist es aus Sicht der QM-Expertin unerlässlich, „dass sich alle Beteiligten der Schnittstellen bewusst sind und sich regelhaft austauschen und abstimmen und gemeinsam auf das Ziel einer kontinuierlichen Verbesserung hin arbeiten“.

Sepsis schneller erkennen und besser behandeln

Im abschließenden Vortrag „Deutschland erkennt Sepsis: QM, Erfahrungen und Blick in die Zukunft“ stellte PD Dr. Matthias Gründling, Qualitätsmanagementprojekt SepsisDialog, Universitätsmedizin Greifswald, Klinik für Anästhesiologie, Anästhesie, Intensiv-, Notfall- und Schmerzmedizin Greifswald, die Initiative „SepsisDialog“ vor. Diese klärt über Symptome (Erkennen), Diagnostik, Behandlung, Prävention und Langzeitfolgen der Sepsis (Blutvergiftung) auf. Zu den angewandten Methoden zählen:

  • Fortlaufende Schulungen (Pflege, Ärzte), Sepsisdialog (Intensivstationen, Notaufnahme, Klinikum-weit)
  • Materialien (Internet, Kitteltaschenkarten, Plakate)
  • Webseite www.sepsisdialog.de
  • Prospektive Datenerfassung von Qualitätsparametern
  • Entwicklung und Finanzierung eines Computerprogrammes zu Erfassung und Auswertung der Qualitätsparameter (S.I.Q. Sepsis Informationssystem zur Qualitätssicherung)
  • Datenauswertung
  • Fallbesprechungen, Feedback
  • Öffentlichkeitsarbeit
  • 1,0 VK Sepsisschwester vom Klinikum finanziert

© Matthias Gründling
Die Universitätsmedizin Greifwald erreicht damit eine erhebliche Reduzierung der Sepsisfälle in ihrer Klinik und nimmt damit eine Vorreiterrolle in der Sepsis-Prävention ein, die mit großer Social-Media-Präsenz beworben wird. Das Konzept soll zukünftig bundesweit ausgerollt werden. SepsisDialog sucht permanent Multiplikatoren in anderen Kliniken Deutschlands aus den Bereichen QM, Intensivmedizin und Notaufnahme. In seinem Ausblick bis 2026 verriet der Referent die weiteren ehrgeizige Ziele des SepsisDialogs:

  • Krankenhäuser sollen unterstützt werden, die Anforderungen des „Qualitätssicherungsverfahrens Diagnostik Therapie und Nachsorge der Sepsis“ des IQTIG (Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen) zu erfüllen.
  • Verbesserung der Reichweite des SepsisDialogs durch mehr Informationen (online und im Print)
  • Bereitstellung aller Vorträge der SepsisAkademie auf YouTube
  • Jährliche Befragung der Teilnehmenden (Verbesserungspotential, Themen)
  • Automatisierung der Zertifizierung und der Ausgabe der Zertifikate an Teilnehmerinnen und Teilnehmer

Nach insgesamt knapp sechs Stunden voller Informationen und lebhafter Diskussionen dankte Moderator Burkhard Fischer, Leiter des Referats „Qualitätsmanagement, IT und Datenanalyse“ der KGNW, allen Referierenden. Sie sorgten für den Erfolg des 16. Krankenhaus-Qualitätstags. Als Referentinnen und Referenten standen zur Verfügung:

  • Christiane van Emmerich, Deutsche Krankenhausgesellschaft, Dezernat VII Qualitätssicherung, Transplantationsmedizin und Psychiatrie, Berlin
  • Sabine Löffler und Christina Maass, beide AG QS des bvitg
  • René Schubert, Deutsche Krankenhaus TrustCenter und Informationsverarbeitung GmbH, Leipzig
  • Katrin Stapenhorst, Qualitätsmanagementbeauftragte, Christophorus-Kliniken, Coesfeld
  • Dr. Benedikt Sommerhoff, Leiter Themenfeld Qualität & Innovation, Deutsche Gesellschaft für Qualität (DGQ)
  • Dr. Thilo Grüning, Deutsche Krankenhausgesellschaft, Berlin
  • Dr. Susanne Eberl, Gesellschaft für Qualitätsmanagement in der Gesundheitsversorgung e.V., Sprecherin der Arbeitsgruppe „Kennzahlen und externe Qualitätsvergleiche“
  • Helena Weiß, Alexianer GmbH, Münster
  • PD Dr. Matthias Gründling, Qualitätsmanagementprojekt SepsisDialog, Universitätsmedizin Greifswald, Klinik für Anästhesiologie, Anästhesie, Intensiv-, Notfall- und Schmerzmedizin Greifswald

Der 17. Krankenhaus-Qualitätstag soll im kommenden Jahr möglichst, sofern es die Pandemie zulässt, wieder in Präsenz stattfinden.